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Erneuerbare Energiesysteme, die in die Landschaft passen

Es ist ein Dilemma: Immer wieder scheitern Projekte erneuerbarer Energiesysteme an der gesellschaftlichen Akzeptanz, weil sie die Landschaft verändern. Forschende der ETH Zürich haben erforscht, in welchen Landschaften der Schweiz solche Projekte eher befürwortet werden.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Energielandschaften».
Erneuerbare Energiesysteme in «vorbelasteten» Landschaften werden von der Schweizer Bevölkerung gutgeheissen.
Erneuerbare Energiesysteme in «vorbelasteten» Landschaften werden von der Schweizer Bevölkerung gutgeheissen. Reto Spielhofer und Ulrike Wissen Hayek
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Viele Projekte für erneuerbare Energiesysteme wurden in der Vergangenheit an der Urne verworfen.
  • Grund dafür sind häufig die Bedenken der Bevölkerung gegenüber den Veränderungen der Landschaft, welche solche Energieprojekte mit sich bringen.
  • Diese Bedenken sind aber nicht überall gleich hoch. Eine Studie zeigt auf, wo die Akzeptanz grösser ist und wo Veränderungen unerwünscht sind.

Nicht alle können sich an einem Windpark mit Dutzenden von Windrädern erfreuen. Auch grossflächige Photovoltaik-Anlagen in unberührter Natur stossen eher auf wenig Akzeptanz. In der Vergangenheit hat sich gezeigt: Wenn es in der Bevölkerung zu Widerständen gegen Infrastrukturen erneuerbarer Energie kommt, hat das häufig mit der Wahrnehmung der Landschaft zu tun. Nicht immer überwiegt der Nutzen von neuen Infrastrukturanlagen die Bedenken gegen Veränderungen des Landschaftsbilds.

Die Energiestrategie 2050 zielt auf eine Kombination von Infrastrukturen für erneuerbare Energien, die in die Landschaft integriert werden müssen. Es gibt jedoch keine schweizweite Strategie zur Landschaftsentwicklung mit unterschiedlichen Typen dieser Infrastrukturen. Darüber hinaus mangelt es am Wissen, wie die Bevölkerung welche Anlagen in den verschiedenen Landschaften der Schweiz wahrnimmt und akzeptiert.

Deswegen untersuchte ein Forschungsteam am ETH-Lehrstuhl für Planung von Landschaft und Urbanen Systemen die gesellschaftlichen Präferenzen für erneuerbare Energiesysteme in verschiedenen Landschaften der Schweiz.

Präferenzstudie

Akzeptanz hängt ab von Ästhetik, aber auch von der Funktion der Landschaft und den Werten, die damit verbunden werden. In ihrem Projekt «Energyscape» untersuchten die Forschenden um Adrienne Grêt-Regamey, wie die Schweizer Bevölkerung Landschaften und deren Veränderungen wahrnimmt – und zwar sowohl kognitiv als auch emotional.

Um dies herauszufinden, untersuchten sie in einem Laborexperiment die Reaktion von rund 100 Probanden auf gewissen Landschaftsveränderungen. Weil bei der Bewertung von Landschaften erwiesenermassen auch der Affekt, also die unmittelbare körperliche Reaktion eine Rolle spielt, wurde bei den Probanden der Hautwiderstand gemessen. Dieser verändert sich während affektiven Reaktionen. Zusätzlich führten die Forschenden eine repräsentative Online-Umfrage unter rund 1000 Personen durch, um auch die kognitiven Beweggründe für die Ablehnung oder Akzeptanz von Landschaften zu erfassen.

Sowohl den Probanden als auch den Umfrageteilnehmern wurden sieben verschiedene Schweizer Landschaftstypen vorgelegt: Urban, landwirtschaftlich geprägt, der Jurabogen, die Voralpen, urbanisierte Bergregion, touristische Bergregion und unberührte Alpenregion. Den Teilnehmenden wurden jeweils verschiedene audio-visuelle Simulationen vorgelegt: Landschaften mit viel Energieinfrastruktur und solche mit wenig. Getestet wurden Windturbinen, Photovoltaik-Felder in der Landschaft und Photovoltaik-Anlagen auf Dächern sowie Strommasten. Zu den Bildern hörten die Teilnehmer zudem die für die Region typischen Geräusche. Sowohl für das Erstellen des Studiendesign als auch zur Analyse zogen die Wissenschaftler Expertengruppen bei.

Resultat: Die Akzeptanz gegenüber Energie-Infrastrukturen hängt stark vom Landschaftstyp, der Kombination von Anlagen zur Energiegewinnung und der bereits bestehenden Nutzung der Landschaft ab.

Energieanlagen im urbanen Raum akzeptiert

Je unberührter eine Landschaft ist, desto grösser ist im Allgemeinen die Ablehnung von Energieinfrastrukturen. Im siedlungsgeprägten Flachland und auch in Alpenlandschaften mit touristischer Infrastruktur wie Skiliften sind Infrastrukturen der Solar- und Windenergie eher akzeptiert. Im Jura, den Voralpen und den weit entfernten Alpen sind weder Strommasten noch Windturbinen oder Solaranlagen gern gesehen. In Bergregionen, die urbanisiert sind oder touristisch genutzt werden, stossen solche Massnahmen auf mehr Akzeptanz. In stark urbanisierten Gegenden sind erneuerbare Energieanlagen am besten akzeptiert.

Dabei wirken sich vor allem grosse Mengen dieser Infrastrukturen negativ auf die Landschaftswahrnehmung aus, wie die Studie weiter zeigt. Interessant: Je höher die Anzahl sichtbarer Windturbinen, Photovoltaikanlagen oder Strommasten, desto stärker reagierten die Probanden körperlich auf das Bild.

Solarenergie hat einen leichteren Stand

Am beliebtesten waren unter den Studienteilnehmenden Solaranlagen auf Dächern. Bei dieser Technologie nimmt die Bevölkerung aus landschaftlicher Perspektive auch einen stärkeren Ausbau positiv wahr.

Während Solarenergie generell am beliebtesten ist, stossen Strommasten überall auf die grösste Ablehnung. Landschaften, auf denen Strommasten stehen, wurden in der Studie eher akzeptiert, wenn darauf auch Windturbinen oder Photovoltaikanlagen installiert waren. Erneuerbare Energien machen Strommasten also akzeptabler.

Windturbinen rangierten bezüglich Präferenz im Mittelfeld – kamen aber in Kombination mit Solarenergie stets besser an als alleine.

Eine Kombination von wenig Wind- und Solarenergieanlagen wurde gegenüber einem Szenario mit einer hohen Anzahl dieser Energieinfrastrukturen bevorzugt. Hierfür waren bei der Präferenz ästhetische Kriterien entscheidend: Die Energieinfrastruktur musste zum Gesamtbild «passen».

Empfehlungen für Planer

In Zusammenarbeit mit Energie- und Landschaftsfachleuten werden die Forschenden Empfehlungen für die verschiedenen Landschaften der Schweiz formulieren.

Grêt-Regamey hofft, dass die Ergebnisse der Studie den Planern helfen, mögliche Hindernisse und Widerstände, die oft auf landschaftlichen Überlegungen gründen, frühzeitig zu berücksichtigen. So kann eine gesellschaftlich akzeptierte Landschaftsentwicklung mit erneuerbaren Energien gefördert werden.

Kontakt und Team

Prof. Dr. Adrienne Grêt-Regamey

Institut für Raum- und Landschaftsentwicklung
Stefano-Franscini-Platz 5
8093 Zürich

gret@ethz.ch

Dr. Victor Schinazi

Cognitive Science, ETH Zürich

Dr. Boris Salak

WSL

Dr. Marcel Hunziker

WSL

Prof. Dr. Felix Kienast

WSL

Prof. Dr. Adrienne Grêt-Regamey

Projektleiterin

Urs Steiger

steiger texte konzepte beratung

Dr. Ulrike Wissen Hayek

PLUS, ETH Zürich

Reto Spielhofer

PLUS, ETH Zürich

Dr. Tyler Thrash

Cognitive Science, ETH Zürich

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 18.06.2019 ab.