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Europäischer Strommarkt: Ein Fernbleiben wird teurer, eröffnet aber auch Spielräume

Seit über 12 Jahren ringen die Schweiz und die EU um den gegenseitigen Zugang zum Strommarkt. Mit der Energiestrategie 2050 steht das Land vor grossen Herausforderungen, die es mit grenzüberschreitendem Stromhandel einfacher bewältigen kann. Forschende der Universität St. Gallen sagen: Ohne Beitritt wird die Umsetzung der Ziele teurer, dafür wird aber auch Raum für innovativere, smarte Regulierung geschaffen.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Europäisierung des Schweizer Energiesystems».
Der Schweizer Strommarkt ist eng mit jenem Europas verzahnt.
Der Schweizer Strommarkt ist eng mit jenem Europas verzahnt. Shutterstock
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Ohne bilaterales Abkommen mit der EU im Elektrizitätsbereich wird der grenzüberschreitende Handel deutlich erschwert.
  • Langfristig betrachtet verliert die Schweiz an Einfluss bei den europäischen Regulatoren.
  • Um die Ziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen, muss der Regulierungsrahmen bei einem Alleingang innovativer und weniger bürokratisch werden.

Der Strommarkt ist in Bewegung. In Zukunft soll es nur noch einen gemeinsamen Binnenmarkt für ganz Europa geben. Für die Schweiz sind diese Prozesse von Bedeutung, denn der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie im Rahmen der Energiestrategie 2050 verkompliziert die Stromversorgung unseres Landes. Dazu kommt die Ungewissheit: Seit 2007 verhandelt die Schweiz mit der EU über ein bilaterales Abkommen im Elektrizitätsbereich. Zu einem Abschluss ist man bis heute nicht gekommen.

Schweizer Strommarkt ist unerschütterlich

Welche Auswirkungen hätte ein vertragsloser Zustand für den Schweizer Strommarkt? Dieser Frage ist ein Forschungsteam um Peter Hettich von der Universität St. Gallen nachgegangen. Die Forscher dämpfen den vorherrschenden Alarmismus: Der Schweizer Strommarkt bleibt trotz den Umwälzungen in Europa stabil. Das gelte auch dann, wenn es zwischen der EU und der Schweiz zu keinem Vertragsabschluss kommt, solange man sich auf technischer Ebene weiter verständige.

Allerdings führt nur ein Stromabkommen zu einer wirtschaftlichen Zusammenkopplung der Märkte, die unter anderem die Beseitigung von Preisunterschieden bewirkt. Auch die damit verbundene Rechtssicherheit käme heimischen Stromanbietern zugute.

Ungewissheit für Wasserkraftwerke

Hält der vertragslose Zustand an, so die Wissenschaftler, würde das zu einem Rückgang des grenzüberschreitenden Handels führen. Als Reaktion auf die erwartete Strompreiserhöhung müsste die Schweiz die Entwicklung neuer Erzeugungs- und Speichertechnologien forcieren, um das Auf und Ab der gehandelten Strompreise besser abzufedern.

Wird umgekehrt doch noch ein Stromabkommen mit der EU geschlossen, würde dies grosse Änderungen in der Schweizer Stromlandschaft nach sich ziehen. Denn dann müssten finanzielle Unterstützungen für Erzeuger erneuerbarer Energie den EU-Richtlinien untergeordnet werden. Dies beträfe vor allem die Kantone mit grossen Wasserkraftwerken, weil die bisherigen Zuwendungen an die Wasserkraftwerke in Widerspruch zu den geltenden EU-Richtlinien stünden.

Schweiz bleibt im Winter ein Importeur

Auch die Schweizer Politik wäre bei einem Stromabkommen gefordert. Weil nach Vertragsabschluss – davon gehen die St. Galler Forscher aus – die Abhängigkeit von Stromimporten eher steigt, benötigten die Schweizer Stromerzeuger verlässliche Rahmenbedingungen.

Schweiz droht Ausschluss

Für die Forschungsgruppe ist klar: Mit einem EU-Abkommen im Elektrizitätsbereich wird die Position der Schweiz zwar nicht vergleichbar sein mit jener anderer EU-Staaten, aber der Einfluss der Schweiz als Nicht-EU-Land würde trotzdem zunehmen.

Das Forscherteam empfiehlt, dass sich die drei wichtigsten Akteure auf eine gemeinsame Position verständigen. Damit meint es das Bundesamt für Energie (BFE), die Regulierungsbehörde im Elektrizitätsbereich EICom und die Schweizer Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid.

Viel Zeit dürfe nicht mehr verloren gehen, so die Einschätzung der Forschenden. Denn der Prozess des Ausschlusses habe für die Schweiz bereits begonnen: Noch werde die Schweiz bei einflussreichen Akteuren wie ACER (Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden) oder ENTSO-E (Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber) gehört. Aber diese Positionen seien gefährdet, sollte es der Schweiz nicht in naher Zukunft gelingen, ein Abkommen mit der EU zu schliessen.

Weniger Bürokratie für Kleinproduzenten

Trotzdem: Die Ziele der Energiestrategie 2050 können auch ohne Abkommen mit der EU erreicht werden. Nur wird die Umsetzung teurer ausfallen. Die Forschenden aus St. Gallen gehen nämlich davon aus, dass für eine Energiewende ohne grenzüberschreitenden Austausch auch teurere Speicher- und Erzeugungstechnologien zum Zug kommen müssten.

Wichtig sei zudem, dass die Bedingungen für Kleinproduzenten von erneuerbarer Energie verbessert werden. Dies sei mit zwei Massnahmen möglich: Zum einen sollte die finanzielle Unterstützung für erneuerbare Energie rascher und einfacher fliessen. Zum anderen sollten die Kleinproduzenten ihren produzierten Strom mit Abnahmeverträgen besser verkaufen können.

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Kontakt und Team

Prof. Dr. Peter Hettich

Institut für Finanzwissenschaft, Finanzrecht und Law and Economics
Universität St. Gallen
Varnbüelstrasse 19
Büro 34-006
9000 St. Gallen

+41 71 224 2940
peter.hettich@unisg.ch

Peter Hettich

Projektleiter

Livia Camenisch

Benjamin Hofmann

Beatrice Petrovich

Philipp Thaler

Rolf Wüstenhagen

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 12.06.2019 ab.