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Soziales Lernen hilft, den Energieverbrauch zu senken

Weniger Energie zu verbrauchen wäre gut, da sind sich alle einig. Doch wenn es dann tatsächlich ums Sparen geht, sieht die Haltung der Einzelnen anders aus. Einerseits fehlt das Wissen, wie man den Energieverbrauch senken könnte, andererseits mangelt es auch an der Einsicht, dass jede Person, als Bürgerin oder Bürger der Schweiz, einen Einfluss auf die Energiewende haben kann.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Effizienter Energieverbrauch in Privathaushalten».
Waschen braucht Strom. Wer viel wäscht, verbraucht daher auch mehr Strom. Das liesse sich ändern – am besten durch soziales Lernen.
Waschen braucht Strom. Wer viel wäscht, verbraucht daher auch mehr Strom. Das liesse sich ändern – am besten durch soziales Lernen. Adobe Stock
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Schweizer Haushalte sind für fast einen Drittel des Gesamtenergieverbrauchs verantwortlich.
  • Um Energie zu sparen, müssen sich also die alltäglichen Routinen ändern. Doch das ist schwierig, denn sie basieren auf eingespielten Mustern.
  • Soziales Lernen, in Form von Wettbewerben oder Vorführungen, kann laut Forschenden jedoch dabei helfen, diese Praktiken zu verändern.

Ob es uns gefällt oder nicht: Der Alltag besteht zu wesentlichen Teilen aus Routinen wie Putzen, Waschen und Kochen. Sind diese erledigt, können wir uns den Unterhaltungs- und Freizeitaktivitäten zuwenden. Dabei haben all diese Routinen und Verhaltensweisen etwas gemeinsam – sie benötigen Energie. So läuft die Waschmaschine nicht ohne Strom und auch das Handy wird durch den Stecker in der Wand gespiesen. Das macht die Schweizer Haushalte, oder besser die darin lebenden Personen mit ihren eingespielten Verhaltensweisen, zu einer Zielgruppe, wenn es darum geht, Energie zu sparen. Denn die Haushalte sind für fast einen Drittel des Gesamtenergieverbrauchs in der Schweiz verantwortlich.

Doch ist dies den Schweizerinnen und Schweizern bewusst? Und fühlen sie sich angesprochen, wenn es um das Stromsparen geht? Dieser Fragen haben sich Forschende unter der Leitung von Suren Erkman, Professor am Institut für Geowissenschaften und Umwelt in Lausanne, und Marlyne Sahakian, Assistenzprofessorin der Soziologie an der Universität Genf, im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 71 angenommen.

Um Antworten darauf zu finden, haben sie detaillierte Umfragen in der Westschweiz durchgeführt. Das Resultat: Der Energieverbrauch im Haushalt steht im Bewusstsein der Westschweizer Bevölkerung nicht an oberster Stelle. Und unabhängig davon, wie die Routinen, die Strom verbrauchen, zustande kommen, sind sich die Forschenden einig: Ein rein informativer Ansatz für die Veränderung des Verhaltens bringt wenig. Wirksamer wäre soziales Lernen, beispielsweise in Form von Spielen oder Wettbewerben. Dieses kann Veränderungen der alltäglichen Praktiken bewirken und so den Schweizer Energieverbrauch reduzieren.

Was beeinflusst, wie oft wir waschen?

Nun ist es so, dass allen menschlichen Verhaltensweisen gesellschaftlich etablierte Normen zugrunde liegen. Diese sind häufig unbewusst und werden stillschweigend akzeptiert. Wie oft wir beispielsweise unsere Jeans waschen, hängt davon ab, wie wir es als richtig empfinden. Und das wiederum hängt von vielen verschiedenen Einflüssen ab. So kann ein Verhalten beispielsweise von den Eltern kopiert sein, durch den Partner gefordert werden oder einer eigenen Idee entspringen. Solche Einflüsse bestimmen, wie oft wir eine Jeans waschen – und nicht die Frage, ob die Jeans wirklich schmutzig ist. Aus diesem Grund werden viele Waschgänge getätigt, die gar nicht nötig wären. Genau darin steckt Potenzial zum Energiesparen: Läuft die Waschmaschine seltener, braucht das weniger Strom.

Um noch genauer zu verstehen, welche Normen alltägliche Aktivitäten beeinflussen und wie die Verhaltensweisen zustande kommen, haben Erkman und sein Team detaillierte Umfragen durchgeführt. Dabei nutzten die Forschenden Bilder und manchmal Humor, um mehr von den Befragten zu erfahren. Denn oft liegen die Emotionen bezüglich Normen im Unterbewusstsein. Bilder helfen, einfach und offener darüber sprechen zu können. Dadurch hatten die Forschenden ein besseres Verständnis davon, welche Normen beispielsweise mit Frustration oder auch Begeisterung behaftet waren. Dies wiederum erlaubte es dann, Veränderungen der alltäglichen Praktiken gezielt in Angriff zu nehmen.

Den Energieverbrauch zu senken, ist kein Bedürfnis

Optimieren ist nicht gleich Sparen

Wenn beispielsweise ein Elektroartikel als energieeffizient gilt, bedeutet das nicht unbedingt, dass er auch wenig Energie verbraucht. So kann es beispielsweise sein, dass ein kleiner Kühlschrank der Energieeffizienzklasse B insgesamt weniger Strom verbraucht als ein Riesenkühler der Klasse A+. Das primäre Ziel ist also nicht, effizienter zu werden, sondern es geht vielmehr darum, tatsächlich weniger Strom zu verbrauchen – dies wird auch Suffizienz genannt.

Aus den Resultaten der Umfragen lernen die Forschenden erstens, dass die Energiewende die Bevölkerung in der Westschweiz nicht sehr stark beschäftigt und auch das Bewusstsein für den Stromverbrauch nicht besonders ausgeprägt ist. So weiss zum Beispiel jede zweite Person nicht, wie viel sie für die Stromrechnung bezahlt. Als weit wichtiger werden die Bedürfnisse Gesundheit, Wohlbefinden, Komfort, Konnektivität oder Sicherheit eingestuft, wobei mit 90 Prozent die Sauberkeit des Zuhauses als das wichtigste Bedürfnis angegeben wird.

Zweitens können die Forschenden dadurch, dass die Emotionen bei den Umfragen mitanalysiert wurden, darauf schliessen, dass ein von Normen beeinflusstes Verhalten sich sehr unterschiedlich äussern kann. Ein Beispiel: Person A wäscht ihre Kleidung zweimal die Woche, weil sie Angst davor hat, von ihrem Umfeld als ungepflegte Person angesehen zu werden. Person B hingegen wäscht immer montags, weil sie dann Zeit dazu hat – unabhängig davon, ob die Wäsche schmutzig ist oder nicht. In beiden Fällen kann zwar eine Verhaltensveränderung erzielt werden, jedoch müssen die Ansätze für diese Veränderung an ganz unterschiedlichen Orten ansetzen.

Verhalten ändern ist schwierig

Wenn es nun jedoch genau darum geht, die Waschhäufigkeit zu senken, müssen die Haushalte ihre alltäglichen Routinen ändern. Und dafür reicht es gemäss Forschenden nicht, die Bürger lediglich zu informieren, dass zu häufiges Waschen nicht nötig ist. Die Angesprochenen müssen dies durch soziales Engagement erlernen. Um diese Hypothese zu überprüfen, haben die Wissenschaftler drei Projekte lanciert.

Aufruf zur Aktion

Mit diesem Plakat wurden Bürgerinnen und Bürger dazu aufgefordert, an der «Jeans-Challenge» teilzunehmen.
Mit diesem Plakat wurden Bürgerinnen und Bürger dazu aufgefordert, an der «Jeans-Challenge» teilzunehmen. Terragir Genf

Das erfolgreichste der drei Projekte war die «Jeans-Wasch-Challenge». Marlyne Sahakian und ihr Team liessen sich dafür von der in Australien durchgeführten Jeans Challenge von Tullia Jack inspirieren. Bei der Aktion galt es, das bereits angesprochene Waschverhalten von Personen zu verändern. Für die Teilnehmenden der Challenge ging es darum, ihre Jeans während vier Wochen an mindestens fünf Tagen pro Woche zu tragen, ohne diese zu waschen.

Während dieser Zeit unterhielten sich die Jeansträger auf sozialen Netzwerken darüber, wie sie sich dabei fühlten oder wie sie etwaige Flecken am besten aus den Hosen rausbekamen. Abschliessend stellten die Teilnehmenden fest, dass sie sich nach Ende der vier Wochen nicht nur sauber und wohl fühlten, sondern dass sie auch viele andere Kleider wesentlich weniger oft zu waschen hätten, als sie es bisher taten. So sehen die Forschenden grosses Potenzial darin, durch soziales Lernen ein Überdenken des Verhaltens und eine entsprechende Änderung auszulösen.

Trägheit spart keinen Strom

Eines setzt all dies jedoch voraus, nämlich den Willen zur Veränderung und ein Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Erreichen der Energieziele. Diesbezüglich kam durch die Umfragen ein weiterer, ernüchternder Aspekt ans Tageslicht: 88 Prozent der Befragten fanden, dass Firmen, Unternehmen und der Staat eine führende und wichtigere Rolle hätten als die Haushalte, wenn es darum gehe, die Energiewende voranzutreiben. Ganz nach dem Prinzip: «Ich mach erst was, wenn die was machen.»

Wegen dieser Haltung der Haushalte ist es Marlyne Sahakian und ihrem Team ein Anliegen, die Erkenntnisse ihrer Arbeit an Politik und Praxis weiterzugeben. So kann abschliessend nicht genug betont werden, dass rein informative Massnahmen nicht zu fruchten scheinen. Darum solle vermehrt auf Wettbewerbe oder Vorführungen gesetzt werden. Diese machen nicht nur Spass, sondern seien möglicherweise auch essentiell, wenn es darum geht, Privatpersonen für die Umsetzung der Energiewende zu mobilisieren.

Kontakt und Team

Prof. Suren Erkman

Institut des dynamiques de la surface terrestre
Université de Lausanne Quartier UNIL-Mouline
Bâtiment Géopolis
Bureau: 5879
CH-1015 Lausanne

+41 21 692 35 52
Suren.Erkman@unil.ch

Suren Erkman

Projektleiter

Marlyne Sahakian

Béatrice Bertho

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 10.05.2019 ab.