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So bezieht man die Bevölkerung in die Gestaltung der Energiepolitik ein

Eine gelingende Umweltpolitik braucht die Akzeptanz der Gesellschaft. Wie man die Bevölkerung besser in den energiepolitischen Prozess einbinden kann, haben Forschende nun untersucht.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Wege zu einem gesellschaftlichen Konsens».
Würden die Leute wirklich mitreden, könnte auch die Energiepolitik effizienter werden.
Würden die Leute wirklich mitreden, könnte auch die Energiepolitik effizienter werden. Shutterstock
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Menschen sind Konsumentinnen und Konsumenten, und sie sind Bürgerinnen und Bürger. Je nachdem, welche Rolle sie einnehmen, beurteilen und bewerten sie Energiepolitik unterschiedlich.
  • Um Menschen in den politischen Prozess einzubeziehen, sollte man sie in beiden Rollen ansprechen und ernst nehmen.
  • Das gelingt besser, wenn man die Diskussion über Energiepolitik mit Themen wie Lebensqualität und Gerechtigkeit verbindet, statt sich allein auf Umweltfolgen zu fokussieren.

Politik und Wissenschaft können noch so lange an neuen Lösungen tüfteln – am Volk führt in einer Demokratie wie der Schweiz kein Weg vorbei. Weder ein Umweltgesetz noch andere Massnahmen nützen etwas, wenn sie an der Urne abgelehnt oder im Alltag nicht umgesetzt werden.

Deshalb sind Forschende der Universität Basel der Frage nachgegangen, wie man die gesellschaftliche Akzeptanz für energiepolitische Massnahmen gewinnen kann.

Beurteilung aus verschiedenen Perspektiven

Eine wichtige Erkenntnis der Studie lautet: Personen bewerten energiepolitische Massnahmen nicht immer gleich. Denn sie nehmen in der Gesellschaft eine Doppelrolle ein – einerseits als Konsumierende, andererseits als Bürgerinnen und Bürger.

Wer energiepolitische Massnahmen aus Konsumentensicht betrachtet, nimmt das eigene Erleben in den Blick: er oder sie achtet darauf, wie sich diese Massnahmen auf verschiedene Lebensbereiche auswirken, wie sie etwa die eigene Lebensqualität beeinflussen und die Ressourcen, die einem zur Verfügung stehen. Aus Bürgersicht dominiert hingegen die Sorge darüber, wie energiepolitische Massnahmen das Wohlergehen von anderen beeinträchtigen, ob sie gerecht sind und wie effektiv damit die Natur geschützt wird. Als Bürgerinnen und Bürger denken Menschen also nicht in erster Linie an sich selbst.

Zu diesen Schlüssen kamen die Forschenden nach 48 Interviews. Um die Konsumentenperspektive zu ergründen, erstellten die Interviewten ein sogenanntes Futures Wheel zu einer energiepolitischen Massnahme. Das ist eine Art Mindmap, um direkte und indirekte Folgen von künftigen Entscheidungen und Massnahmen zu erkunden.

Im zweiten Teil des Interviews wurde die Bürgerperspektive ergründet. Dazu nahmen die Befragten an einer fiktiven Abstimmung zu der Massnahme teil, zu der sie vorher ein Futures Wheel erstellt hatten. Gefragt wurde beispielsweise, ob sie einer Erhöhung des Benzinpreises auf 5 Franken pro Liter zustimmen würden. Danach mussten die Interviewten ihren Entscheid begründen.

Die markante Erhöhung des Benzinpreises ist eine von drei Massnahmen der Energiepolitik, die aufgrund von zwei Gruppendiskussionen mit Expertinnen und Experten für die Studie ausgewählt worden waren. Die anderen waren ein starker Ausbau des öffentlichen Verkehrs und eine umfassende Bewirtschaftung von Parkplätzen.

Früher Einbezug der Bevölkerung

Die Studie kommt zum Schluss, dass das Futures Wheel geeignet ist, um sich vertieft mit Aspekten der Energiepolitik aus der Sicht von Konsumentinnen und Konsumenten auseinanderzusetzen. Die meisten der Interviewten dachten anfangs nur über direkte Auswirkungen einer Massnahme nach. Erst in einem nächsten Schritt wurden ihnen auch mögliche indirekte Effekte bewusst. Dazu fielen ihnen auch weitere betroffene Lebensbereiche ein. Das Futures Wheel half ihnen also, die möglichen Auswirkungen eines politischen Entscheides auf das eigene Leben besser zu verstehen.

Diese Methode könnte bei der Entwicklung neuer energiepolitischer Massnahmen eine Rolle spielen: Man könnte damit zum Beispiel beim Design von Massnahmen frühzeitig und strukturiert die Anliegen von Konsumentinnen und Konsumenten einbeziehen.

Damit die Methode in den Prozess der Politikgestaltung integriert werden kann, müssen – laut der Autorenschaft der Studie – zwei Bedingungen erfüllt sein: Man sollte sich nicht auf Einzelinterviews beschränken, sondern die Methode auch zur gemeinsamen Reflexion in Gruppen einsetzen. Dazu ist die Methode gut geeignet. Und die Methode muss denjenigen zusagen, die massgeblich an der Planung und Umsetzung der Prozesse der Politikgestaltung beteiligt sind. Die Erfahrungen der Forschenden sprechen dafür, dass dies der Fall ist.

Fokus auf Lebensqualität, nicht auf Umwelt

Eine weitere Erkenntnis aus der Studie lässt aufhorchen: Die Menschen in der Schweiz haben nicht unbedingt das Gefühl, Teil eines gesellschaftlichen Entscheidungsprozesses zu sein. Sie fühlen sich auch nicht eingeladen, sich als Bürgerinnen und Bürger in energiepolitische Debatten einzubringen. Das zeigt auf, dass es nicht reicht, regelmässig abstimmen zu dürfen und zu wissen, wie das politische System funktioniert.

Um das zu ändern, schlagen die Forschenden Massnahmen zur Förderung der Bürgerkompetenz und der diskursiven Partizipation von Erwachsenen vor. Selbst kurze Gespräche liessen sich so gestalten, dass sie Wirkung zeigen. Solche Aktivitäten werden gut aufgenommen und sind attraktiv, wenn sie darauf ausgerichtet sind, individuelles und gegenseitiges Lernen sowie den Austausch und eine sachliche Diskussion zu ermöglichen.

Welche Inhalte sollen dabei im Vordergrund stehen? Die Antwort liefern die Resultate zur Bürger- und Konsumentenperspektive: Diese haben nämlich ergeben, dass Fragen zur Lebensqualität und Gerechtigkeit bei beiden Betrachtungsweisen hoch gewichtet werden.

Das Forschungsteam schlägt deshalb vor, den Fokus auf Fragen der Lebensqualität zu legen. Damit widerspricht es der weit verbreiteten Annahme, zur Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz energiepolitischer Massnahmen sei in erster Linie eine Aufklärung über natürliche Ressourcen und die Folgen für die Umwelt nötig.

Mit einem Fokus auf die Lebensqualität nehme man die Leute und ihre spezielle Expertise ernst – ohne dass diese die Natur vergessen. Die Ergebnisse der Forschung zeigten, dass die Umwelt auch dann eine wichtige Rolle spielte, wenn die Lebensqualität ins Zentrum der Diskussion über energiepolitische Massnahmen gestellt wurde.

Kontakt und Team

Prof. Dr. Patricia Holm

Departement Umweltwissenschaften Programm Mensch-Gesellschaft-Umwelt Universität Basel
Vesalgasse 1
4051 Basel

+41 61 207 04 02
patricia.holm@unibas.ch

Patricia Holm

Gesuchstellerin

Antonietta Di Giulio

Projektleitung

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 31.05.2019 ab.