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Energiesparen mit variablen Strompreisen: Was funktioniert und was nicht

Heute bezahlen Konsumentinnen und Konsumenten noch einen konstanten Strompreis pro Kilowattstunde, unabhängig davon, wie viel Energie sie verbrauchen. Dagegen könnten variable Tarife einen hohen Konsum bestrafen und Sparsamkeit belohnen – und so einen starken Anreiz setzen, um Strom zu sparen. Wie ein solches Tarifsystem aussehen müsste, um gleichzeitig wirksam zu sein und von den Konsumenten akzeptiert zu werden, haben Forschende der Universität Genf untersucht.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Energieeffizienz in Privathaushalten».
Moderne Küche mit stattlichem Kühlschrank, Ofen und Steamer: Neue elektrische Geräte sind zwar in der Regel energieeffizienter, aber vielfach werden mehr und grössere Geräte angeschafft und diese intensiver genutzt – so geht ein Teil der Energieersparnis wieder verloren.
Moderne Küche mit stattlichem Kühlschrank, Ofen und Steamer: Neue elektrische Geräte sind zwar in der Regel energieeffizienter, aber vielfach werden mehr und grössere Geräte angeschafft und diese intensiver genutzt – so geht ein Teil der Energieersparnis wieder verloren. iStock
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Variable Stromtarife sind ein vielversprechender Ansatz, um Konsumentinnen und Konsumenten zum Energiesparen zu motivieren.
  • Untersucht wurden verschiedene Ansätze: zum einen progressive Tarife, die einen höheren Stromkonsum bestrafen, zum anderen Boni, die Sparsamkeit finanziell belohnen.
  • Resultat: Durch progressive Tarife wird am meisten Energie gespart. Allerdings sind sie bei den Konsumenten unbeliebt. Als beste Lösung entpuppte sich stattdessen ein kombiniertes Bonus-Malus-System.

Axpo, Alpiq, BKW & Co: Die Schweizer Stromversorger spielen eine grosse Rolle dabei, ob und wie energiepolitische Ziele erreicht werden. Denn sie entscheiden, wie nachhaltig ihr Stromangebot ist und welcher Strommix wie viel kostet. Diese Stromtarife sind bisher noch konstant, das heisst: Die Energie aus der Steckdose ist gleich teuer, unabhängig davon, wie viel man gesamthaft verbraucht. Dabei wären gerade variable Stromtarife ein vielversprechender Ansatz, um Konsumentinnen und Konsumenten zum Energiesparen zu motivieren.

Denn vielen ist zwar bewusst, was zu tun wäre: Wäsche weniger heiss waschen, Lampen, die man nicht braucht, konsequenter ausknipsen, elektronische Geräte nicht im Standby-Modus lassen, sondern ganz ausschalten. Doch ein echter Anreiz, auf energiesparendes Verhalten zu achten, besteht nicht – zu unbedeutend sind die Kosten für den Stromverbrauch im Haushaltsbudget. Das sollen variable Stromtarife ändern: Sie sollen für die Verbraucher einen finanziellen Anreiz schaffen, Strom zu sparen. Wie ein solches Tarifsystem aussehen könnte, das bei den Menschen tatsächlich eine Verhaltensänderung bewirkt, haben nun die Forschungsteams von Martin Patel und Tobias Brosch von der Universität Genf untersucht.

Die Wissenschaftler haben als erstes in einer Übersichtsstudie bisherige Forschungsarbeiten unter die Lupe genommen, die in sechs Ländern – in Kanada, den USA, Japan, China, Deutschland und in der Schweiz – solche variablen Tarife untersucht hatten. Hierbei gibt es zwei unterschiedliche Ansätze. Zum einen progressive Tarife: Diese bestrafen einen höheren Stromkonsum mit steigenden Strompreisen. Zum anderen Boni, auch Energieeffizienz-Einspeisetarife genannt. Auch sie sollen die Konsumenten zum Energiesparen anregen, aber mit einem Belohnungssystem: Wer weniger verbraucht, wird finanziell belohnt.

Verlust tut mehr weh als verlorener Gewinn

Die beiden Ansätze sind längst nicht gleich wirksam, wie die neue Übersichtsstudie jetzt zeigt: Die progressiven Tarife bewirkten deutlich höhere Energieeinsparungen als die Energieeffizienz-Einspeisetarife. Und das in allen untersuchten Ländern. Wenn also Konsumentinnen und Konsumenten durch ihr verschwenderisches Verhalten tiefer ins Portemonnaie greifen müssen, beeinflusst sie das stärker, als wenn sie durch gegenteiliges Verhalten gleich viel Geld sparen könnten.

Diese Tendenz, Verluste höher zu gewichten als Gewinne, ist in der Verhaltensforschung bereits bekannt – Fachleute sprechen von der sogenannten Verlust-Aversion. Wegen dieses psychologischen Phänomens ist ein progressiver Tarif ein so starker Motivator, um das Verhalten von Menschen zu ändern – auch was den Stromverbrauch angeht.

Freiwillige Entscheidung

Doch wie können Konsumentinnen und Konsumenten davon überzeugt werden, überhaupt einen solchen Stromtarif zu wählen? Das untersuchten die Forschenden als nächstes. Dazu führten sie Befragungen in mehr als 1060 Schweizer Haushalten durch. Die Teilnehmenden sollten die verschiedenen Stromtarife beurteilen. Diese Beurteilung erfolgte mithilfe von Entscheidungsexperimenten, die demonstrierten, mit welchem Tarifsystem sich die Probanden eher anfreunden konnten. Dabei zeigte sich: Stromtarife, die Einsparungen belohnten, waren bei den Konsumentinnen und Konsumenten deutlich beliebter als solche, die einen hohen Konsum finanziell bestrafen. Das ist nachvollziehbar, wiederum aufgrund der Verlust-Aversion. Doch es bedeutet auch, dass den Stromverbrauchern gerade jene Massnahme lieber ist, die zu weniger Energieeinsparungen führt.

Lösung: Bonus-Malus-System

Die Grafik zeigt, wie beliebt die verschiedenen Tarife sind. «Bonus» belohnt Sparsame; «Malus» bestraft Verschwenderische; «Bonus-Malus» schliesslich ist die Kombination der beiden Anreizsysteme, die sogar noch etwas beliebter ist als «Basic», ein konstanter Tarif.
Die Grafik zeigt, wie beliebt die verschiedenen Tarife sind. «Bonus» belohnt Sparsame; «Malus» bestraft Verschwenderische; «Bonus-Malus» schliesslich ist die Kombination der beiden Anreizsysteme, die sogar noch etwas beliebter ist als «Basic», ein konstanter Tarif. Martin K. Patel, Uni Genf

In den Befragungen fand sich aber auch ein Ausweg daraus: ein Tarif mit einer Kombination aus Belohnung und Bestrafung. Ein solcher kombinierter Ansatz war den Befragten deutlich sympathischer als ein reines Malus-System. Rund ein Drittel aller befragten Haushalte würde einem solchen Tarifplan zustimmen. Dieser Ansatz ist im Hinblick auf die Reduktion des Energieverbrauchs aber wirksamer als ein konstanter Tarif («Basic»). Wie gut die variablen Tarife bei den einzelnen Teilnehmenden ankamen, hing übrigens vor allem von deren Sparwillen ab sowie den Werten und Emotionen bezüglich ökologischer Anliegen.

Nun berücksichtigt ein solches Anreiz-Tarifsystem die Gesamtmenge an verbrauchter Energie, hilft aber den Konsumenten nicht, zu entscheiden, wie genau sie Energie sparen können. Eine Massnahme, die in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird, ist das Austauschen von alten elektrischen Geräten im Haushalt durch neue, die deutlich weniger Strom fressen. Das ist jedoch vor allem bei grossen Geräten wie Kühlschränken, Waschmaschinen oder Kochherden mit hohen Kosten verbunden. Ob und unter welchen Bedingungen eine Erneuerung des Geräteparks für Privathaushalte sinnvoll ist, haben darum die Forschenden in einem letzten Projektteil untersucht.

Sie sind zu einem ernüchternden Urteil gelangt: Erstens führen neue Geräte nicht automatisch zu einer Energieersparnis. Sie sind zwar energieeffizienter, doch vielfach legen sich Konsumenten dafür grössere und mehr Geräte zu. Deshalb stieg der gesamte Energieverbrauch von Kochherden und Abwaschmaschinen in den letzten Jahrzehnten sogar leicht an. Zweitens ist der Wechsel zu energieeffizienten Kühlschränken oder Wäschetrocknern richtig teuer – bislang zu teuer. Damit ein solcher Austausch stattfinden könne, folgern die Forschenden, müssten energieeffiziente Geräte zu deutlich akzeptableren Preisen erhältlich sein, als dies jetzt der Fall ist.

Von der Theorie in die Praxis

Auch die variablen Stromtarife seien heute noch schwer in der Praxis umzusetzen, so die Forschenden. Denn für ein Stromversorgungsunternehmen ist die Einführung eines solchen Tarifs unattraktiv, weil es befürchtet, dadurch Kunden zu verlieren. Schon seit 2009 können Grosskunden in der Schweiz ihren Stromversorger nämlich selber wählen und in Zukunft soll dies allen Kunden möglich sein. Ausserdem ist für ein variables Tarifsystem die Installation von Smartmeters notwendig. Diese zeichnen genau auf, wieviel Strom ein Haushalt verbraucht.

Das Fazit der Genfer Forschenden lautet, dass es idealerweise die Kombination verschiedener Massnahmen braucht: neue, deutlich effizientere Haushaltsgeräte; ansprechende Smartmeter; gezielte, teilweise kundenspezifische Informationskampagnen; und gegebenenfalls sehr spezifische gesetzgeberische Rahmenbedingungen, um besonders effektive Massnahmen vorzuschreiben.

Kontakt und Team

Martin K. Patel

Institut des Sciences de l’Environnement
Université de Genève
Boulevard Carl-Vogt 66
1205 Genève

+41 22 379 06 58
martin.patel@unige.ch

Martin K. Patel

Projektleitung

Prasanna Ashreeta

Tobias Brosch

Universität Genf

Jasmin Mahmoodi

Universität Genf

Dasa Majcen

Selin Yilmaz

Universität Genf

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 13.06.2019 ab.