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Energiegenossenschaften – ein Traditionsmodell mit Zukunftspotenzial

Für den Umstieg auf erneuerbare Energien muss Strom und Wärme verstärkt dezentral produziert werden. Dabei können Genossenschaften als lokale Akteure eine Vorreiterrolle übernehmen. Die erste Erhebung zu Energiegenossenschaften in der Schweiz zeigt: Das Potenzial ist gross, aber das Marktumfeld schwierig.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Kollektive Finanzierung erneuerbarer Energien».
So kann lokale Umsetzung von Energiepolitik aussehen – mit Energiegenossenschaften als Impulsgeber.
So kann lokale Umsetzung von Energiepolitik aussehen – mit Energiegenossenschaften als Impulsgeber. shutterstock
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Energiegenossenschaften nutzen erneuerbare Energien dezentral und unterstützen damit die Ausbaupläne der Energiestrategie 2050.
  • Mit ihrer lokalen Verwurzelung schaffen Energiegenossenschaften Akzeptanz für die Förderung erneuerbarer Energien.
  • Damit die Schweizer Energiegenossenschaften ihre Stromproduktion erweitern können, brauchen sie bessere Absatzbedingungen.

In der Schweiz hat die genossenschaftliche Nutzung von Ressourcen Tradition – nebst Käsereigenossenschaften oder Wohngenossenschaften gibt es hierzulande schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts auch Energiegenossenschaften. Die genossenschaftliche Organisationsform ist auch im Zusammenhang mit der Schweizer Energiestrategie 2050 wieder aktuell. Diese will dezentrale erneuerbare Energiequellen stark ausbauen. Eine Aufgabe, die für die lokal verwurzelten Genossenschaften wie geschaffen scheint.

Um das Potenzial hierzulande ansässiger Energiegenossenschaften richtig einzuschätzen, war bislang über diese Organisationen aber noch zu wenig bekannt. Diese Wissenslücke wollten Forschende der WSL Birmensdorf und der Universität Bonn schliessen. Sie befragten die Schweizer Energiegenossenschaften zu Themen wie Finanzierung, Partnern, Plänen und Perspektiven. Knapp die Hälfte der etwa 300 Schweizer Energiegenossenschaften antwortete auf die Umfrage. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Stromproduzentinnen, in den meisten Fällen mit Photovoltaikanlagen.

Schwieriges Marktumfeld

Die Antworten auf die WSL-Umfrage zeigen deutlich, wo den Energiegenossenschaften der Schuh drückt: Der Strom mit ökologischem Mehrwert lässt sich kaum kostendeckend verkaufen. Über die Hälfte der Genossenschaften erlebte in der Vergangenheit diese Schwierigkeit als Wachstumshemmnis. Noch mehr Antwortende sehen sich in Zukunft durch Absatzprobleme im Wachstum eingeschränkt.

Ein Blick auf die Förderlandschaft verdeutlicht die Zusammenhänge. So sind viele der Genossenschaften kurz nach der Einführung der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) im Jahr 2009 entstanden. Mit diesem Förderinstrument vergütet der Bund die Erzeugungskosten von erneuerbarem Strom und ermöglicht dadurch den wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen. Allerdings ist die Fördersumme beschränkt und reicht bei Weitem nicht, um die laufenden Anträge auf Förderung zu bedienen. Neue Projekte haben keine Chancen auf Unterstützung, denn es bestehen lange Wartelisten, und 2022 läuft die KEV ganz aus.

Da die Quellen der nationalen Förderung langsam versiegen, ist es nicht verwunderlich, dass die wenigsten der befragten Genossenschaften ihre Produktionskapazitäten in jüngster Zeit wesentlich ausbauten. Genossenschaften, die das dennoch schafften, erhielten oft Unterstützung auf Gemeindeebene – Grund genug für die Forschenden, die Rolle der Gemeinde als Erfolgsfaktor in vier Fallstudien genauer zu untersuchen.

Eine fruchtbare Partnerschaft

Wie sie herausfanden, beschränkt sich die Beziehung zwischen Gemeinde und Genossenschaft nicht auf einseitige Förderung, sondern beruht vielmehr stark auf Gegenseitigkeit. Zwar profitieren die Energiegenossenschaften substantiell. Die Gemeinden stellen ihnen etwa Dachflächen für Solaranlagen gratis oder vergünstigt zur Verfügung. Sie gewähren den Genossenschaften Darlehen, nehmen ihnen Strom über dem Marktpreis ab oder berappen den Ökostrom-Aufpreis über den Kauf von Herkunftsnachweisen.

Die Fallstudiengemeinden ihrerseits – alle Trägerinnen des Labels Energiestadt – sehen in den Energiegenossenschaften ideale Partner für die Umsetzung ihrer Energieziele. Die Genossenschaften sind lokal verankert und nicht profitorientiert, und damit Garant dafür, dass die Leistungen der Gemeinde letztlich der eigenen Bevölkerung zugutekommen. Das legitimiert den Einsatz der Gemeinde für erneuerbare Energien zusätzlich und erhöht die Akzeptanz der Förderung, erklären die Forschenden.

Energieversorger reden mit

Nebst den Gemeinden brachten die Fallstudien noch einen weiteren Schlüsselakteur zum Vorschein. Es sind dies die lokalen Energieversorgungsunternehmen, selber oft in staatlichem Besitz. Sie geniessen ein Monopol als Stromanbieter für Kleinverbraucher und sind damit einziger Abnehmer für den Strom, den die Energiegenossenschaften über den Eigenbedarf hinaus produzieren. Mit subventionierten Einspeisetarifen ermöglichen die Energieversorger genossenschaftliche Projekte. Sie machen die Genossenschaften aber damit auch von sich abhängig, wie die Fallstudien zeigten. Andererseits können die Energiegenossenschaften über den Energieversorger vom Monopol mitprofitieren. Dazu passt, dass die durch die WSL befragten Genossenschaften einer vollständigen Liberalisierung des Strommarktes skeptisch gegenüberstehen – weniger als die Hälfte sieht in der Liberalisierung eine grosse Chance für die Energiegenossenschaften.

Lernen vom grossen Nachbarn

Die Ergebnisse legen nahe, dass die Schweizer Energiegenossenschaften Impulse für die dezentrale Entwicklung der erneuerbaren Energien geben können, aber bislang ihr Potenzial nicht ausschöpfen. Wie also ermöglicht man den Genossenschaften, zu wachsen? Die Forschenden verweisen auf die Situation in Deutschland, wo entsprechende Daten schon länger verfügbar sind. Der grosse Nachbar im Norden gilt als Eldorado für Energiegenossenschaften. Sie sind im Schnitt viel grösser als die schweizerischen. Den Hauptgrund hierfür sehen die Forschenden im bis vor Kurzem unbeschränkten Zugang zu subventionierten Einspeisetarifen. Dank dieser Sicherheit bekunden die deutschen Genossenschaften auch keine Mühe, ihren Strom auf dem voll liberalisierten deutschen Markt abzusetzen. Ein weiterer Erfolgsfaktor der deutschen Energiegenossenschaften besteht in ihrer stärkeren Vernetzung. Regionale Netzwerke verbessern den Austausch von Wissen und ermöglichen politische Lobbyarbeit.

Der Ländervergleich mit Deutschland unterstreicht die Bedeutung der Absatzmöglichkeiten für die Entwicklungsmöglichkeiten der Schweizer Energiegenossenschaften. Damit genossenschaftlich produzierter Strom markgerecht wird, brauche er mehr politische Unterstützung, meinen die Forschenden. Als mögliche Ansätze nennen sie nebst Einspeisetarifen auch grosszügigere Regeln für den Eigenverbrauch sowie eine generelle Erhöhung der Energiepreise durch Lenkungsabgaben auf fossile Energien. Wird die erneuerbare Stromproduktion für Genossenschaften attraktiver, so würden diese den dezentralen Ausbau der erneuerbaren Energien weiter vorantreiben. Bis jetzt kommen die Energiegenossenschaften erst für 1 bis 1,5 Prozent der Solarstromproduktion auf – ein ähnlicher Wert wie in Deutschland. Man dürfe aber die Bedeutung der Genossenschaften nicht allein an der erzeugten Strommenge bemessen, betonen die Forschenden. Denn die Genossenschaften erzeugten nicht nur Strom, sondern auch Verständnis und Akzeptanz für die Energiewende.

Kontakt und Team

Irmi Seidl

Eidg. Forschungsanstalt WSL
Zürcherstrasse 111
8903 Birmensdorf

+41 44 739 23 24
irmi.seidl@wsl.ch

Irmi Seidl

Projektleiterin

Britta Klagge

Thomas Meister

Benjamin Schmid

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 17.06.2019 ab.