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Auch die Verantwortung für die Stabilität des Netzes dezentralisieren

Die Energiewende verändert nicht nur die Stromerzeugung grundlegend, sondern stellt auch neue Anforderungen an die Übertragung und Verteilung des Stroms. Forschende der EPFL Lausanne zeigen, wie das Stromnetz lernen kann, mit grossen Mengen erneuerbaren Stroms umzugehen.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Software-basierte Netzsteuerung in Echtzeit».
Wenn Stromverbraucher auch Stromproduzenten werden, wird die Stabilisierung des Netzes schwierig.
Wenn Stromverbraucher auch Stromproduzenten werden, wird die Stabilisierung des Netzes schwierig. Shutterstock/city100
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Forschende der EPFL Lausanne haben ein System entwickelt, um das Stromnetz für die schwankende Stromproduktion aus Sonnen- und Windenergie zu rüsten.
  • Ein Gebäude der EPFL Lausanne demonstriert, wie träge Lasten zum Ausgleichen solcher Stromschwankungen genutzt werden können.
  • Mit dem neuen System können lokale Netzbereiche sich selber regulieren und gleichzeitig zur Stabilität des gesamten Stromnetzes beitragen.

Erneuerbare Energien sind ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 des Bundes. So sollen zum Beispiel bis ins Jahr 2050 20 Prozent des Stromverbrauchs mit Photovoltaik gedeckt werden. Aber verträgt das heute existierende Stromnetz einen so massiven Beitrag von Sonne, Wind und anderen erneuerbaren Quellen? Der Strom aus diesen Quellen fällt unregelmässig an, und das Stromnetz ist nicht darauf ausgelegt, mit den zu erwartenden grossen Schwankungen umzugehen. Darum kann es künftig zu Stromspitzen kommen, die die Leitungen überlasten und die Stabilität der Stromversorgung gefährden können – wenn das Netz nicht entsprechend angepasst wird.

Forschende der EPFL Lausanne haben in zwei gekoppelten Projekten ein System entwickelt, das die Möglichkeiten des so genannten «Smart Grid» nutzt, um das Stromnetz zu stabilisieren. Eines der Projekte entwickelte die theoretischen Grundlagen und eine Software zur Steuerung beliebig komplexer Teilnetze in Echtzeit. Das zweite Projekt demonstrierte an einem Gebäude der EPFL, wie die Trägheit von Heizung und Kühlung zur Abpufferung von Stromschwankungen eingesetzt werden kann.

Virtuelle Speicher nutzen

Die Verknüpfung der Ergebnisse der beiden Projekte zeigt exemplarisch, wie das Stromnetz in Zukunft funktionieren könnte. Dabei spielen virtuelle Speicher eine zentrale Rolle. Ein Beispiel für so einen virtuellen Speicher ist das erwähnte Gebäude an der EPFL. Es nutzt den physikalischen Umstand, dass die Raumtemperatur des Gebäudes nur langsam auf die Zu- oder Abfuhr von Wärme reagiert. Somit kann diese innerhalb kurzer Zeitintervalle beliebig hoch- oder heruntergefahren werden, ohne dass dies im Gebäude sofort spürbar wäre. So hilft die Wärmespeicherkapazität des EPFL-Gebäudes die variablen Nutzlasten und die schwankende Stromproduktion der gebäudeeigenen Photovoltaikanlage auszugleichen. Insgesamt machten die Forschenden so den Stromverbrauch eines Bereichs der EPFL besser steuer- und berechenbar.

Ein skalierbares Prinzip

Was für ein einzelnes Gebäude funktioniert, kann im Prinzip auch auf das ganze Schweizer Stromnetz übertragen werden. Dies ist ein anderes zentrales Ergebnis des zweiteiligen Forschungsprojekts. Denn die Steuerung, welche die EPFL-Forschenden entwickelten, verbirgt die Komplexität der stromproduzierenden und -verbrauchenden Geräte unter einer generischen Oberfläche, die das gesamte Gebäude wie ein einzelnes Gerät funktionieren lässt. Mit der gleichen Steuerung können mehrere solcher Gebäude zu einer Einheit zusammengefasst werden, die dann wiederum mit anderen Einheiten gemeinsam gesteuert werden. Das System ist also skalierbar.

Neues Konzept für Netzstabilität

Das System der EPFL ist nicht das erste, das träge Lasten wie die Wärmeversorgung zur Stabilisierung des Netzes nutzen will. Ähnliche Ansätze verfolgte zum Beispiel auch schon ein Projekt von IBM Research und dem Grossverteiler Migros, wo ein Tiefkühllager zur Pufferung diente. Aber das EPFL-System funktioniert als erstes in Echtzeit, also mit einer Reaktionszeit von unter einer Sekunde. Dies macht es möglich, dass nicht nur Teile des Stromnetzes zuverlässig laufen, sondern dass diese sogar mithelfen, den Rest des Netzes zu stabilisieren. In der Fachsprache redet man von Systemdienstleistungen, welche ein einzelner Unterabschnitt für das gesamte Stromnetz leistet.

Jedoch ist dieses Konzept im gegenwärtigen Umfeld von Regulationen und Anreizen schwer umsetzbar. Im Gegenteil verlassen sich kleine Stromproduzenten und -Verbraucher auf die Leistungsfähigkeit des Stromnetzes zur sicheren Stromübertragung. Es sollten also Anreize geschaffen werden – so der Vorschlag der Forschenden, damit auch die Kleinen einen Beitrag zur Stabilisierung leisten, Dies wäre möglich, indem einerseits die Nutzung des Netzes teurer wird und andererseits Systemdienstleistungen nicht regulatorisch behindert, sondern honoriert werden. So würde nicht nur die Stromproduktion dezentralisiert, sondern auch die Verantwortung für die Stabilität des Netzes.

Kontakt und Team

Prof. Jean-Yves Le Boudec

EPFL IC IINFCOM LCA2
Route Cantonale
INF 016 Station 14
1015 Lausanne

+41 21 693 66 31
jean-yves.leboudec@epfl.ch

Jean-Yves Le Boudec

Projektleiter

Niek Johannes Bouman

Drazen Dujic

Luca Fabietti

Colin Jones

Andreas Kettner

François Marechal

Maaz Mohiuddin

Mario Paolone

Wajeb Saab

Enrica Scolari

Paul Stadler

Eleni Stai

Yan-Kim Tran

Cong Wang

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 24.05.2019 ab.