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Flut auf Bestellung

In Flüssen unterhalb von Staudämmen fliesst meist wenig Wasser und die Mauern unterbrechen den Transport von Sand und Kies. Als Folge setzen sich auf dem Flussbett vermehrt Algen fest und das Flussökosystem verkümmert. Ob dagegen künstliche Hochwasser helfen können, hat dieses Forschungsprojekt untersucht.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Nachhaltiges Auenmanagement und Wasserkraft».
Während dem Flut-Experiment strömten 9,5 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Greyerzersee und verursachten ein künstliches Hochwasser.
Während dem Flut-Experiment strömten 9,5 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Greyerzersee und verursachten ein künstliches Hochwasser. Forschungsgruppe Ökohydrologie ZHAW
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • In Flussabschnitten unterhalb von Staudämmen fehlen die natürlicherweise vorkommenden Hochwasser. Deshalb verarmen die Gewässer und Wälder beginnen, Auen einzuengen.
  • Um dem entgegenzuwirken, müssen die Schleusen der Dämme von Zeit zu Zeit geöffnet werden, um das Flussbett durchzuspülen, Sedimente umzulagern und um die Artenvielfalt im Wasser und an Land zu fördern.
  • Was bei solchen Fluten geschieht und wie sich das Ökosystem danach ändert, haben Forschende unterhalb der Staumauer Rossens im Kanton Freiburg untersucht.

Mehr als die Hälfte des Schweizer Stroms stammt aus Wasserkraft, und im Rahmen der Energiestrategie soll dieser Anteil bis ins Jahr 2050 sogar noch steigen. Doch jede Talsperre ist ein massiver Eingriff in die Umwelt mit Auswirkungen bis weit flussabwärts. Denn vielerorts leiten die Stromerzeuger das Wasser bei der Talsperre in Druckstollen und lassen es erst einige Kilometer weiter unten wieder in den Fluss strömen. In den sogenannten Restwasserstrecken fliesst deswegen nur noch die gesetzlich geforderte Wassermenge. Während es früher bei Starkregen immerhin noch gelegentlich zu hohen Abflüssen und damit zum Durchspülen und Umlagern des Flussbetts kam, sind solche Hochwasser heute äusserst selten, weil die Elektrizitätsunternehmen dank präziser Abfluss- und Wetterprognosen besser planen können und nur noch selten die Schleusen öffnen müssen.

Zahmes Flüsschen: Unterhalb der Staumauer von Rossens fliesst die Saane sehr spärlich.
Zahmes Flüsschen: Unterhalb der Staumauer von Rossens fliesst die Saane sehr spärlich. Flickr / Patrick Fäh

So auch bei der Staumauer Rossens im Kanton Freiburg, welche die Saane zum Greyerzersee aufstaut. Unterhalb der Staumauer fliessen noch 2,5 (im Winter) bis 3,5 (im Sommer) Kubikmeter Wasser pro Sekunde ab – vor dem Bau der Staumauer war es ein Mehrfaches davon. Deshalb spriessen im Auengebiet nun Bäume und Sträucher auf den Kiesbänken, im seichten Wasser wachsen Algen und im Flussbett fehlt das Geschiebe, weil die Staumauer dieses zurückhält. Die Folge: das Auengebiet von nationaler Bedeutung droht stark zu verarmen oder sogar zu verschwinden.

Abhilfe schaffen können künstliche Hochwasser: Dabei öffnet der Betreiber die Schleusen und lässt die Wassermassen durch das Tal strömen – so viel wie bei einem natürlichen Hochwasser zu erwarten wäre. Denn das Flussökosystem benötigt immer wieder Überflutungen. Doch bislang gab es kaum Erfahrungen mit solchen menschgemachten Hochwassern in Auengebieten. Das Forschungsprojekt des Laboratoire de Constructions Hydrauliques (LCH) der ETH Lausanne (EPFL), der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), der Eawag, und den Remote Sensing Laboratories (RSL) der Universität Zürich (UZH) untersuchte deshalb den Zustand der Saane vor einem geplanten Hochwasser und verglich die Messungen – zwei Tage und zwei Monate nach dem Ereignis. Damit wollten die Forschenden Werkzeuge entwickeln, um die Wirkung eines künstlichen Hochwassers als Renaturierungsmassnahme in Auengebieten zu überprüfen und den Effekt vorhersagen zu können.

Schleusen auf

Am Fuss der Staumauer von Rossens schiesst das Wasser aus den Schleusen.
Am Fuss der Staumauer von Rossens schiesst das Wasser aus den Schleusen. Forschungsgruppe Ökohydrologie ZHAW

Bevor das Hochwasser stattfand, analysierten die Wissenschaftler historische Luftbilder, kartierten einen Flussabschnitt mit Drohnen und Messgeräten am Boden und im Wasser, sammelten aquatische Wirbellose sowie Mikroben, und erhoben mit Spezialkameras Daten über die Artenzusammensetzung der Pflanzenwelt. Ausserdem legten sie Kiesdepots im Überflutungsgebiet an, weil grobes Material, das ein Fluss natürlicherweise transportiert, die Staumauer nicht passieren kann. Zusätzlich installierten sie in fast 500 Steinen kleine Sender, um zu messen, wie weit das Wasser diese transportiert.

Schliesslich öffneten die Betreiber im September 2016 die Schleusen – insgesamt 9,5 Millionen Kubikmeter Wasser strömten aus dem Greyerzersee. Resultat: Die Flut erodierte die überwuchernde Vegetation vieler Kiesbänke und brachte Wasser in zuvor trocken gelegte Seitengerinne. So wurden aquatische Wirbellose, die an ruhige Gewässer angepasst sind, weggespült – doch ihr Bestand erholte sich rasch wieder, wie eine Bestandesaufnahme zwei Monate nach der Flut zeigte.

Frontansicht Talsperre während Hochwasser.
Frontansicht Talsperre während Hochwasser. Forschungsgruppe Ökohydrologie, ZHAW

Insgesamt vertiefte sich das Flussbett leicht, obwohl die Forschenden Stein- und Kieshaufen eingebracht hatten. Allerdings sind die angelegten Depots nur etwa zur Hälfte abgetragen worden, denn die maximale Abflussmenge betrug wegen technischer Probleme nicht wie vorgesehen 255 m3/s, sondern nur 195 m3/s. Von den 500 markierten Steinen fanden die Wissenschaftler insgesamt 277 wieder. Der am weitesten mitgeschwemmte Stein hatte 286 Meter zurückgelegt. Ausserdem zeigte sich, dass durch die abwechselnde Anordnung der Depots links und rechts an den Ufern diversere Habitate für Tiere und Pflanzen entstanden. Insgesamt werten die Forschenden die Auswirkungen des künstlichen Hochwassers auf die Auenlandschaft positiv – und sie stellten fest, dass die Zugabe des Gerölls sehr wichtig war. Allerdings war das künstliche Hochwasser an der Saane auf ein einmaliges Ereignis beschränkt. Um einen langfristigen und nachhaltigen Nutzen für die Auenökologie zu erreichen, sind regelmässige Wiederholungen solcher Hochwasser mit Geschiebeschüttungen zwingend notwendig, wie die Forschenden festhalten.

Überwachung von Renaturierungen

Um die Auswirkungen eines niedrigen Abflusses und von künstlichen Hochwassern auf die Ökologie des Flusses zu beziffern und zu überwachen, haben die Wissenschaftler ein Monitoringverfahren entwickelt. Dieses nutzt Aufnahmen am Boden und von Drohnen sowie Computermodelle und die daraus entwickelten Bewertungsverfahren – etwa den sogenannten hydromorphologischen Index für Diversität (HMID). Mit dem Flut-Experiment konnten die Forschenden dieses Monitoring nun weiter verfeinern und Anpassungen für Auengebiete vornehmen. Dies hilft, die Veränderungen in einem Fliessgewässer durch Eingriffe und Renaturierungsmassnahmen besser zu bewerten. So können Kraftwerkbetreiber die Folgen künstlicher Hochwasser auf Struktur und biologische Vielfalt im Fluss besser planen. Doch nicht nur bei der Planung hilft das Monitoring. Es dient auch der laufenden Überwachung von bereits getroffenen Massnahmen – ob die gesetzten Ziele erreicht werden oder ob noch Handlungsbedarf besteht. Davon profitiert nicht nur die Natur, sondern auch die Haltung der Bevölkerung zu grossen Flussverbauungen und damit die Umsetzung der Energiestrategie 2050.

Idyllische Landschaft am Flusslauf der Saane.
Idyllische Landschaft am Flusslauf der Saane. Forschungsgruppe Ökohydrologie ZHAW

Kontakt und Team

Prof. Anton Schleiss

Laboratory of Hydraulic Constructions
EPF Lausanne
Station 18
1015 Lausanne

+41 21 693 23 85
anton.schleiss@epfl.ch

Anton Schleiss

Nina Di Cugno

Michael Döring

Christa Gufler

Mathias Kneubühler

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Christopher Robinson

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Diego Tonolla

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 10.05.2019 ab.