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Kleinste Teilchen bedrohen Wasserkraftturbinen

Wasser, das Kraftwerksturbinen antreibt, enthält trotz Entsanderanlagen immer noch Schwebstoffe. Diese greifen die Infrastruktur an und sind für Produktionsausfälle verantwortlich. Nun haben Forscher der ETH Zürich die Anlagen optimiert und neue Gestaltungsrichtlinien erarbeitet.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Sedimentierung in Stauanlagen». Dieses Projekt ist Teil des Verbundprojektes «Wasserkraft und Geoenergie».
Bevor das Wasser Turbinen antreiben kann, muss es mit Entsanderanlagen gesäubert werden: Eine Anlage bei Saas-Balen im Kanton Wallis.
Bevor das Wasser Turbinen antreiben kann, muss es mit Entsanderanlagen gesäubert werden: Eine Anlage bei Saas-Balen im Kanton Wallis. VAW / ETH Zurich
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • In den grossen Wasserkraftanlagen der Alpen kommt es zu Produktionsausfällen, weil winzige Partikel im Wasser die Turbinen abscheuern.
  • Zwar sollen sogenannte Entsanderanlagen einen Grossteil der Schwebfracht aus dem Wasser entfernen, doch sie funktionieren nicht zuverlässig genug.
  • Um die Effizienz von Entsanderanlagen zu steigern, haben Forscher deren Strömungsverhältnisse modelliert und neue Richtlinien für die Dimensionierung solcher Einrichtungen erarbeitet.

Das Rückgrat der schweizerischen Stromproduktion sind grosse Wasserkraftanlagen in den Alpen. Im Rahmen der Energiestrategie 2050 soll ihre Effizienz weiter steigen – doch kleine Partikel im Wasser stehen diesem Ziel im Weg: die Schwebstoffe. Die feinen Sedimente, welche die Flüsse mit sich führen, wirken an den Turbinen der Kraftwerke wie Schmirgelpapier und setzen ihnen zu. Zwar ist dieses Problem bekannt und die Kraftwerke verfügen über sogenannte Entsanderanlagen, welche die Schwebfracht reduzieren sollen: längliche Becken, in denen das Wasser möglichst langsam fliesst, damit sich die Partikel am Boden absetzen. Aber auch die neuste Generation dieser Anlagen erfüllt ihren Zweck nur teilweise. Darum benötigen die Turbinen häufiger Unterhaltsarbeiten und in dieser Zeit können sie keinen Strom produzieren – finanzielle Ausfälle sind die Folge. Schätzungen gehen von Kosten von rund 6 Millionen Franken jährlich aus, alleine in der Schweiz.

Die Entsandungsanlage Wysswasser bei Fiesch im Kanton Wallis.
Die Entsandungsanlage Wysswasser bei Fiesch im Kanton Wallis. VAW / ETH Zurich

Systematisches Testen

Um solche Produktionsausfälle zu minimieren, haben Forscher in diesem Projekt die Strömungsverhältnisse in Entsanderanlagen mit Computermodellen nachgebildet und in drei Walliser Wasserkraftanlagen Messungen durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass ein beträchtlicher Anteil der Sedimente die Entsanderanlagen passieren kann. So betrug die durchschnittliche Partikel-Absetzquote in einer der untersuchten Anlagen nur 62 Prozent und in einer anderen sogar nur 16 Prozent.

Solche Rechen in den Becken beruhigen die Strömung und tragen zur effizienten Entsandung bei.
Solche Rechen in den Becken beruhigen die Strömung und tragen zur effizienten Entsandung bei. Christopher Paschmann / ETH Zurich

Die Messungen dienten auch als Grundlage für die Kalibrierung der dreidimensionalen Computermodelle, mit denen der Effekt der einzelnen Gestaltungselemente wie Öffnungswinkel des Beckens oder Beruhigungsrechen im Wasser systematisch durchgetestet wurde. So zeigte sich zum Beispiel, dass eine starke Kurve im Einlaufkanal des Bauwerks die Effizienz der Entsandung signifikant verkleinert, weil sich das Wasser wegen des asymmetrischen Einströmens nicht genügend beruhigen kann. Eine kleine bis mittlere Kurve ist gemäss den Simulationen akzeptabel und der negative Einfluss kann durch einen Rechen in der Übergangszone weiter verkleinert werden.

Auch den Einfluss der Geometrie des Beckens untersuchten die Forscher. Es stellte sich heraus, dass es kaum einen Einfluss hat, wie der Kanal sich zum Becken hin verbreitert – also ob er sich kontinuierlich weitet oder schlagartig in die volle Breite übergeht. Anders sieht es beim vertikalen Winkel aus, also wie der Kanal sich vertieft: Eine sanfte Rampe verursacht weniger Wirbel als eine steile Wand. Dies ist wichtig für eine effiziente Abscheidung der Partikel.

Neuer Dimensionierungsprozess

Die Grundlänge des Entsander-Beckens gemäss dem klassischen Dimensionierungsansatz sollte mit dem Faktor 1,2 multipliziert werden. Die rechte Spalte zeigt die verschiedenen Geometrie-Elemente, die modifiziert werden können und einen weiteren Einfluss auf die benötigte Beckenlänge haben.
Die Grundlänge des Entsander-Beckens gemäss dem klassischen Dimensionierungsansatz sollte mit dem Faktor 1,2 multipliziert werden. Die rechte Spalte zeigt die verschiedenen Geometrie-Elemente, die modifiziert werden können und einen weiteren Einfluss auf die benötigte Beckenlänge haben. Christopher Paschmann / ETH Zurich

Aber die einfachste Möglichkeit, die für eine bessere Absetzleistung sorgt, sind längere Becken, in denen das Wasser langsam fliessen kann. Hier können sich die Schwebstoffe gut absetzen. Jedoch benötigen längere Becken mehr Baumaterial und vor allem viel Platz. Sie sind also teurer. Deshalb gilt es, die Becken nicht länger als nötig zu planen. Hier genügt jedoch der klassische Dimensionierungsansatz nicht, wie die Computersimulationen zeigten: In der Regel wird die benötigte Beckenlänge für eine gute Absetzleistung um mindestens 20 Prozent unterschätzt. Deshalb schlagen die Forscher vor, im Dimensionierungsprozess die berechnete Grundlänge mit dem Faktor 1,2 zu multiplizieren. So kann die Effizienz der Entsanderanlagen gesteigert werden. Zur berechneten Grundlänge kommen dann Anpassungen der Länge je nach Öffnungswinkel des Beckens, Bogen des Einlaufkanals und Höhe des Wehrs am Beckenende hinzu. Einen Einfluss hat auch, ob ein Rechen im Wasser die Strömung beruhigt. Als Resultat erhalten die Ingenieure die nötige Gesamtlänge des Bauwerks.

Umsetzung in der Praxis

Die Forscher geben zu bedenken, dass es nicht einfach ist, die neuen Erkenntnisse bei allen Akteuren in der Wasserkraftwirtschaft und den Planungsunternehmen bekannt zu machen, so dass sie in der Praxis eingesetzt werden. Eine Möglichkeit, die Erkenntnisse zu verbreiten, sehen die Forscher in Wissens- und Technologietransfer-Anlässen für Elektrizitätsunternehmen und Planungsfirmen. Dort würden nebst der Theorie auch praktische Beispiele vorgeführt. Auf alle Fälle sollten die neuen Dimensionierungsrichtlinien bei neu geplanten Bauten Anwendung finden, denn so kann die Effizienz der gesamten Kraftwerksanlage verbessert werden.

Kontakt und Team

Prof. Robert Boes

Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie
ETH Zürich
Hönggerbergring 26
HIA C57
8093 Zürich

+41 44 632 40 90
boes@vaw.baug.ethz.ch

Robert Boes

Christopher Paschmann

David Vetsch

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