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Erdbeben, Dammbrüche und Erdrutsche – Risikoabschätzung für die Stromerzeugung

Forschende haben neue Methoden zur Risikominimierung im Energiesystem entwickelt und mit einer Umfrage erforscht, wie Risiken der Öffentlichkeit am besten kommuniziert werden.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Risikomanagement für Geothermie und Wasserkraft». Dieses Projekt ist Teil des Verbundprojektes «Wasserkraft und Geoenergie».
Schäden wie Risse in einer Wand sollten nicht auftreten – auch wenn in der Nähe eine Geothermie-Bohrung durchgeführt wird.
Schäden wie Risse in einer Wand sollten nicht auftreten – auch wenn in der Nähe eine Geothermie-Bohrung durchgeführt wird. Shutterstock
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Künstlich erzeugte Erdbeben sind das grösste Risiko in der Tiefengeothermie. Neue Strategien zur Risikominimierung bilden nun die Basis für künftige Projekte.
  • Forschende haben neue Modelle für die Abschätzung von Risiken durch Erdbeben, Dammbrüche und Infrastrukturschäden entwickelt. Dabei versuchten sie auch, die Unsicherheit der Schätzungen zu beurteilen.
  • Eine Umfrage zeigt, dass die Bevölkerung Tiefengeothermie am liebsten in abgelegenen Regionen hätte, da bei den Bohrungen möglicherweise auftretende Erdbeben Ablehnung gegenüber der Technologie hervorrufen.
  • In der Risikokommunikation sind quantitative Angaben hilfreich, doch Unsicherheitsbereiche verwirren die Bevölkerung und führen zu einer ablehnenden Haltung.

Keine Technologie ist ohne Risiko. Das gilt auch für die Wasserkraft und die Geothermie – erneuerbare Energien, die in der Energiestrategie 2050 eine wichtige Rolle spielen. So mussten die Pilotprojekte für Energieerzeugung mit Tiefengeothermie in Basel und St. Gallen eingestellt werden, nachdem die Bohrungen und Wasserinjektionen Erdbeben ausgelöst hatten. Auch bei Stauseen gibt es immer noch Ungewissheiten – etwa welche Faktoren die Gefahr für einen Dammbruch erhöhen. Deshalb haben Forschende der ETH Zürich neue Methoden zur Risikoabschätzung von verschiedenen Technologien entwickelt.

Erdbeben bei Geothermie

Ein erstes Unterprojekt widmete sich künstlich erzeugten Erdbeben bei Geothermieprojekten. Mit den Daten eines Sensors, der im Bohrloch von Basel in 2,7 Kilometern Tiefe Erschütterungen misst, erstellten die Forschenden einen Erdbebenkatalog, der mehr als 280’000 Erschütterungen aus zwölf Jahren auflistet – von nicht wahrnehmbaren bis zu solchen der Stufe drei auf der nach oben offenen Richterskala.

Darauf wurden die gemessenen Erschütterungen mittels Methoden des maschinellen Lernens unterschiedlichen Klassen zugeteilt. So ist es nun möglich, neu auftretende Erschütterungen in Echtzeit nach Typen zu sortieren. Und es lassen sich auch Vorzeichen, die gefährliche Erdbeben ankündigen können, besser erkennen.

Schäden durch Mikroerdbeben

Es gibt bereits mathematische Modelle zur Vorhersage von Schäden durch Erdbeben, doch diese funktionieren nur bei grösseren Beben zuverlässig. Die Schäden durch sogenannten Mikrobeben, wie sie etwa durch Wasserinjektionen tief im Gestein ausgelöst werden können, waren bisher kaum abschätzbar. Deshalb haben die Wissenschaftler im Labor Experimente mit verputzten Mauern ohne Eisenarmierung durchgeführt: Sie schüttelten die Wände mittels einer Testapparatur schwach, aber lange – so wie es bei künstlich erzeugten Erdbeben zu erwarten wäre. Die dabei entstandenen Schäden kategorisierten sie in drei Stufen: keine Risse, sichtbare Risse und abgefallener Putz. Da die Parameter der Erschütterungen im Experiment genau bekannt sind, lassen sich künftig die möglichen Schäden durch gemessene Mikrobeben abschätzen. Damit werden auch die Risiken von Geothermieprojekten in Siedlungsgebieten besser abschätzbar.

Schäden durch grössere Beben

Bei grösseren Erdbeben ist es wichtig, dass die Infrastruktur möglichst intakt bleibt – insbesondere auch das Stromnetz. Eine neu entwickelte Simulationsmethode hilft, die Systeme möglichst stabil zu bauen. Das Programm simuliert nicht nur die nach einem Erdbeben noch zur Verfügung stehende elektrische Energie, sondern auch den zu erwartenden Verbrauch. Damit können Planer und Behörden Neubauten für Stromnetze und bestehende Infrastruktur auf ihre Ausfallsicherheit hin testen und optimieren.

Optimierung durch Windmodellierung

Im Rahmen der Energiestrategie 2050 soll die Stromproduktion durch Windenergie ausgebaut werden. Doch wo sind die idealen Standorte? Und welche Leistung müssen die Turbinen erbringen? Statistische Auswertungen der Winde zeigen, dass die Windgeschwindigkeit mit zunehmender Meereshöhe grösser wird und der Wind im Winter stärker bläst. Obschon die Luft in den Bergen dünner ist, lohnt es sich darum, Windparks in höheren Lagen zu bauen. Gemäss den Berechnungen der Forschenden braucht es für die in der Energiestrategie 2050 avisierte Windenergie von jährlich sechs Terawattstunden eine installierte Leistung von 2508 Megawatt. Die leistungsstärksten Turbinen der Schweiz haben eine Leistung von rund 3 Megawatt – es bräuchte also circa solche 800 solche Turbinen.

Dammbrüche bei Stauseen

Welche Faktoren erhöhen das Risiko eines Dammbruchs bei einem Stausee? Ein Weg, um dies herauszufinden, ist, Vorfälle aus der Vergangenheit systematisch zu untersuchen. Die Forschenden nutzten dazu eine internationale Datenbank mit Unfällen aus dem Energiebereich. Die Analysen zeigten, bei welchen Dammeigenschaften wie Höhe oder Typ es wie oft zu Zwischenfällen kommt. So haben Schwerkraftstaudämme in Nicht-OECD-Ländern ein höheres Risiko für Zwischenfälle als in OECD-Ländern. Bei Bogenmauern hingegen war kein Unterschied zwischen den Ländergruppen zu finden.

Die statistische Auswertung war die Grundlage für ein Dammbruchmodell, das spezifisch auf die Schweiz ausgelegt ist. Damit lässt sich nun das Risiko von Dammbrüchen in der Schweiz berechnen und insbesondere auch die Auswirkung im Gebiet unterhalb der Talsperren bewerten. Doch natürlich sind solche Voraussagen mit Unsicherheiten behaftet – aber die Forschenden können nun auch diese Unsicherheiten beziffern.

Erdrutsche

Flutwellen unterhalb von Talsperren können nicht nur durch Dammbrüche ausgelöst werden. Wenn zum Beispiel ein Erdrutsch oder Felssturz in einen Stausee stürzt, kann dieser über die Mauer schwappen. Dies geschah 1963 bei der Vajont-Staumauer in Nordostitalien. Damals stürzten gigantische Steinmassen in den See, eine Flutwelle überströmte die Mauer und tötete im Tal bis zu 2000 Menschen – die genaue Zahl konnte nie ermittelt werden.

Um nun zu beziffern, wie wahrscheinlich und wie gross Erdrutsche und Murgänge in den Alpen sind, haben die Forschenden ein neues Computermodell erstellt. Damit können sie die Häufigkeit und die Grösse von Murgängen berechnen. Die Resultate verglichen sie zum einen mit Informationen eines weltweiten Erdrutschdatensatzes. Zum anderen wandten die Forscher ihr Modell in einem realen Tobel an – nämlich dem Illgraben im Wallis. Die Ergebnisse stimmten mit früheren Berechnungen anderer Forscher überein.

Risikokommunikation in der Öffentlichkeit

Die Bewertung der Risiken für Planer und Behörden ist bloss eine Seite der Medaille – ein wichtiger Akteur ist auch die Bevölkerung, die in vielen Fällen Projekten erst zustimmen muss. Ihre Zustimmung macht die Bevölkerung neben der Grundhaltung auch von den zur Verfügung gestellten Informationen abhängig. Wenn es um die Kommunikation von Risiken geht, bevorzugt die Bevölkerung quantitative Informationen und vor allem den Vergleich der Risiken verschiedener Varianten. Wenn aber auch die Unsicherheitsbereiche kommuniziert werden, sinkt das Vertrauen in Wissenschaftler und deren Angaben, wie die Umfrage zeigte.

Die Forschenden fragten auch spezifisch nach der Haltung zu Tiefengeothermie. Insgesamt wird diese in der Schweiz wohlwollend beurteilt, obwohl künstlich erzeugte Erdbeben auftreten können. Die Folgerung der Schweizer: Geothermie sollte am besten an ländlichen Standorten installiert werden, möglichst entfernt von dichtem Siedlungsgebiet.

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Kontakt und Team

Prof. Dr. Stefan Wiemer

Departement Erdwissenschaften ETH Zürich
Sonneggstrasse 5
NO H 61
8092 Zürich

+41 44 633 38 57
stefan.wiemer@sed.ethz.ch

Stefan Wiemer

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 12.06.2019 ab.