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Was unser Abfall zur Energiewende beitragen kann

In Abfall steckt Energie, die zurückgewonnen werden kann. Doch die Energieausbeute könnte grösser sein. Was dazu nötig wäre, wurde in einem Verbundprojekt untersucht. Und es wurde analysiert, welche politischen Bedingungen für die Umsetzung der vorgeschlagenen Massnahmen zu beachten sind.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Abfallmanagement als Beitrag zur Energiewende».
Die schöne Seite des Abfalls: In der Kehrichtverbrennungsanlage Hagenholz in Zürich (rechts) wird die Verbrennungswärme aufgefangen und genutzt. Gemeinsam mit dem Holzheizkraftwerk Aubrugg (links im Bild) versorgt die Anlage den grössten Teil des Fernwärmenetzes der Stadt Zürich.
Die schöne Seite des Abfalls: In der Kehrichtverbrennungsanlage Hagenholz in Zürich (rechts) wird die Verbrennungswärme aufgefangen und genutzt. Gemeinsam mit dem Holzheizkraftwerk Aubrugg (links im Bild) versorgt die Anlage den grössten Teil des Fernwärmenetzes der Stadt Zürich. Melanie Haupt, ETH Zürich
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Aus dem Abfall von Schweizer Privathaushalten und der Industrie könnte deutlich mehr Energie zurückgewonnen werden als heute. Dies zeigt eine umfangreiche Untersuchung von Forschenden der ETH Zürich.
  • Zudem hat das Forschungsteam ermittelt, welche Massnahmen und Rahmenbedingungen nötig sind, um die Energieausbeute in der Abfallverwertung zu optimieren.
  • In zwei Unterprojekten hat das Team ausserdem die Finanzflüsse sowie die politischen Prozesse in der Abfallwirtschaft analysiert und skizziert, wie eine Umsetzung in die Praxis unterstützt werden könnte. Die Ergebnisse sollen den Akteuren des Abfallmanagements als Diskussionsgrundlage dienen.

Abfall ist nicht nutzloser Müll. In den verschiedenen Abfällen aus Schweizer Privathaushalten und aus der Industrie steckt Energie, die zurückgewonnen werden kann. Das geschieht bereits jetzt durch die Nutzung von Wärme und Strom aus Verbrennungsanlagen und durch das Recycling von Materialien – unter anderem Papier, Karton, Glas, Metall, PET, organische Abfälle und zum Teil auch Plastik. Doch noch geht in den Verwertungsketten viel Energie verloren. «Das liesse sich ändern, indem das Abfallmanagement optimiert würde auf eine möglichst grosse Energieausbeute und auf möglichst geringe negative Auswirkungen auf die Umwelt», sagt Stefanie Hellweg, Umweltingenieurin an der ETH Zürich. «So könnte die Abfallverwertung einen wesentlich grösseren Beitrag zur Energiewende leisten.» Hellweg hat zusammen mit ihrem Forschungsteam, zwei weiteren Teams der ETH Zürich und einem Team der Fachhochschule Nordwestschweiz in einem Verbundprojekt untersucht, was dazu nötig wäre.

In der Abfallverwertung wird Energie auf zwei Arten zurückgewonnen: einerseits direkt in Verbrennungs- oder Biogasanlagen, wo die Energie als Wärme, Gas oder Strom abgeschöpft wird, andererseits durch Recycling, indem rückgewonnene Materialien neue Rohstoffe ersetzen.
In der Abfallverwertung wird Energie auf zwei Arten zurückgewonnen: einerseits direkt in Verbrennungs- oder Biogasanlagen, wo die Energie als Wärme, Gas oder Strom abgeschöpft wird, andererseits durch Recycling, indem rückgewonnene Materialien neue Rohstoffe ersetzen. Melanie Haupt, ETH Zürich

Zunächst haben die Forschenden ermittelt, was für Abfall in der Schweiz überhaupt anfällt und was in den bestehenden Verwertungsprozessen damit geschieht. Sie führten Materialflussanalysen und Energieflussanalysen aller Abfallverwertungsprozesse in der Schweiz durch und erfassten so sämtliche Transport- und Lagerungsvorgänge sowie alle Energieströme der Verwertungsketten. Ausserdem modellierten sie sämtliche Recycling- oder Verbrennungsprozesse im Computer. Zudem berechneten die Umweltingenieure in gesamthaft 190 Lebenszyklusanalysen sämtliche Umwelteinflüsse der verschiedenen Abfälle und ihrer Verwertung. Auf diese Weise konnten sie gezielt den Einfluss möglicher Optimierungsmassnahmen simulieren.

Beste Energielieferanten: Privatmüll und chemische Industrie

Die Ergebnisse zeigten, dass über die Hälfte der aus dem Abfall nutzbaren Energie in den sogenannten Siedlungsabfällen gespeichert ist, also in Abfällen aus Privathaushalten oder Abfällen mit ähnlicher Zusammensetzung aus Industriebetrieben. In einem ersten Unterprojekt schauten sich die Forschenden darum die Verwertung dieser Siedlungsabfälle genauer an und ermittelten, wo das grösste Verbesserungspotenzial besteht.

In einem zweiten Unterprojekt beschäftigten sich die Forschenden mit den Industrieabfällen. Hier identifizierten sie als den grössten Energiespeicher Abfälle aus der chemischen Industrie und entwarfen Massnahmen, um daraus mehr Energie abzuschöpfen.

Die Unterprojekte drei und vier schliesslich prüften die praktische Umsetzung der von den Forschungsteams ermittelten Verbesserungsmassnahmen: Sie analysierten einerseits die Finanzflüsse der heutigen Verwertungsketten und welche Bedingungen nötig wären, um sie auf eine bestmögliche Energieausbeute zu optimieren. Andererseits nahmen sie die politischen Rahmenbedingungen für einen solchen Übergang unter die Lupe.

Erstens: die Siedlungsabfälle

In der Schweiz verursacht jede Person im Schnitt 700 Kilogramm Abfall pro Jahr. Davon wird die Hälfte recycelt, der Rest verbrannt. Beide Verfahren gewinnen Energie zurück: Die Wärmeenergie aus den Verbrennungsanlagen lässt sich in industriellen Fertigungsprozessen nutzen, zum Heizen von Häusern oder ganzen Siedlungen oder zur Stromproduktion. Und beim Recycling ersetzen die wiederverwendeten Materialien neue Rohstoffe und sorgen so indirekt für eine positive Energiebilanz.

Heute resultiert aus der Verbrennung des Abfalls ein jährlicher Energierückgewinn von 30 Petajoule. Das entspricht dem Heizwert von mehr als 700'000 Tonnen Rohöl. Zum Vergleich: Der gesamte Energieverbrauch der Schweiz beträgt laut der Gesamtschweizerischen Energiestatistik 2018 des Bundesamts für Energie 830 Petajoule. Der verbrannte Abfall trägt also zirka vier Prozent zur Deckung des Energiebedarfs bei.

Doch es wäre deutlich mehr möglich, wie die Analysen jetzt zeigen. So könnten Verbrennungsanlagen durch technische Aufrüstung energieeffizienter werden. Zudem liesse sich die Abwärme viel konsequenter nutzen, indem die Anlagen besser mit den Abnehmern der Wärmeenergie zusammengebracht würden: Sie sollten an Standorten gebaut werden, wo beispielsweise Industrieanlagen die Wärme das ganze Jahr über nutzen können. Solche Abnehmer könnten auch gezielt um die Verbrennungsanlagen herum angesiedelt werden.

Das noch grössere Potenzial Energie zurückzugewinnen liegt aber im Recycling. Denn die wiederverwerteten Materialien ersetzen Rohstoffe, die in sonst energieintensiven Prozessen neu gewonnen werden müssten. Auch beim Recycling fanden die ETH-Forschenden allerdings Verbesserungspotenzial, so könnten Materialien energieeffizienter verwertet werden als bisher. Entscheidend ist dabei insbesondere die Qualität der gesammelten Materialien. Denn das Recycling von nicht gut separiertem, schmutzigem oder beschädigtem Material verbraucht gemäss der Analyse mehr Energie als jenes von qualitativ hochwertigen Recyclingstoffen. Darum raten die Umweltingenieure zu einer sorgfältigeren Sammlung, Lagerung und Aufbereitung. Vor allem beim Recycling von Papier, Karton und Glas würden sich solche Verbesserungen auszahlen, da sie die grösste Menge an Recyclingstoffen ausmachen. Verglichen mit heute, so die Berechnungen, liesse sich mit all diesen Massnahmen doppelt so viel Energie aus dem Siedlungsabfall gewinnen.

Zweitens: Abfälle aus der Industrie

Die Analyse der industriellen Abfälle und ihrer Verwertungsketten offenbarte, wie wichtig in diesem Zusammenhang die Chemie- und Pharmaunternehmen sind. Denn flüssige chemische Abfälle sind besonders energiereich. Ganze 18 Prozent der in den Industrieabfällen enthaltenen Energie gehen auf ihr Konto. Und etwa 40 Prozent dieser Energie, etwa 2,5 Petajoule, werden heute noch nicht genutzt. Das ist zwar verglichen mit dem gesamten Energiebedarf der Schweiz eine kleine Menge, aber die Energie könnte direkt in den Industrieanlagen wiederverwendet werden. Dies in Form von Wasserdampf, der beispielsweise Turbinen antreibt, oder auch als alternativer, flüssiger Treibstoff. Auf diese Weise würden die chemischen Abfälle einen doppelten Energiegewinn bringen, denn sie würden Primärenergieträger ersetzen – also solche, die man sonst mit zusätzlichem Energieaufwand neu gewinnen müsste.

Als zweiten Hotspot beim Industrieabfall untersuchten die Forschenden das Recycling von Stahl, insbesondere den Einfluss der Qualität des recycelten Materials. Ergebnis: Je schlechter die Qualität des eingesetzten Stahlschrotts, desto mehr Energie kostet der Recyclingprozess. Darum empfehlen die Forschenden, das Material vor dem Einschmelzen sorgfältiger aufzubereiten. So liesse sich der Stromverbrauch des Recyclings um gut 100 Kilowattstunden pro Tonne senken. Das entspricht immerhin einer Energieersparnis von 18 Terajoule – oder 430 Tonnen Rohöl.

Schematische Darstellung der Abläufe beim Recycling von Weissblech. Eine separate Sammlung (unten) ergibt Material von besserer Qualität, dessen Recycling weniger Energie verbraucht. Dagegen frisst die Wiederverwertung von Blech aus der Kehrichtverbrennungsanlage (oben) mehr Energie.
Schematische Darstellung der Abläufe beim Recycling von Weissblech. Eine separate Sammlung (unten) ergibt Material von besserer Qualität, dessen Recycling weniger Energie verbraucht. Dagegen frisst die Wiederverwertung von Blech aus der Kehrichtverbrennungsanlage (oben) mehr Energie. Melanie Haupt, ETH Zürich

Drittens: eine kostendeckende Verwertung

Um die Finanzflüsse in der Abfallverwertung zu analysieren, erstellten die Forschenden zwei sogenannte Lebenszykluskostenrechnungen – eine für Siedlungsabfall, eine für Industrieabfall. Diese Modelle bilden die Einnahmen und Ausgaben der verschiedenen Verwertungsketten ab und auch, wie die Geldflüsse zusammenhängen.

Die Forschenden unterteilten die Gelder jeweils in marktbezogene, also solche aus dem Kauf und Verkauf von Materialien und Energie, und in nicht-marktbezogene. Das sind zum Beispiel Einnahmen aus Gebühren und Subventionen oder CO2-Abgaben.

So wollten sie ermitteln, ob die gesamten Kosten der Abfallverwertung durch die verschiedenen Einnahmequellen gedeckt werden. Ergebnis: Die wenigsten Verwertungsmethoden können durch die Erlöse aus dem Markt allein betrieben werden. Es braucht zusätzliche Finanzierungen aus Gebühren und Abgaben. Und bei manchen Verwertungsketten sind die geschätzten Kosten nicht durch die Erlöse gedeckt. «Das ist bei Momentaufnahmen von langfristigen Investitionsvorhaben mit den notwendigen Annahmen auch kaum zu vermeiden», sagt Christoph Hugi, Leiter dieses Unterprojekts. «Es ist aber klar, dass sich für eine nachhaltige Bewirtschaftung die Einnahmen und Ausgaben langfristig zumindest die Waage halten müssen.» Darum haben die Forschenden diese Finanzdaten zurück in die Computermodelle für Siedlungsabfall und Industrieabfall gespielt, um die Kosten von Optimierungsvorschlägen zu prüfen.

Viertens: Wie der Übergang gelingt

Für Veränderungen in einem für eine Gesellschaft so wichtigen und gleichzeitig so komplexen Prozess wie dem Abfallmanagement gibt es gesetzliche Abläufe – aber auch ungeschriebene Regeln. Deshalb hat ein weiteres Forschungsteam der ETH den politischen Kontext der Abfallwirtschaft analysiert. Die Forschenden haben einflussreiche Gruppen von Akteuren identifiziert und deren Positionen erkundet.

Ergebnis: Zwischen den Akteursgruppen gibt es zwar keine unüberbrückbaren Gräben aber doch bedeutende Unterschiede. Zum Beispiel zwischen privaten und staatlichen Akteuren und zwischen Recyclingfirmen und den Verbrennungsanlagen oder der Zementindustrie. Für den Einfluss der Akteure auf die politischen Prozesse ist aktuell vor allem entscheidend, wie viele Ressourcen ihnen zur Verfügung stehen. Dazu gehören sowohl finanzielle Ressourcen als auch politische Macht oder Autorität. Für die Umsetzung von Massnahmen in Zukunft ist laut der Analyse eine grössere Transparenz der politischen Prozesse nötig – diese seien jetzt noch anfällig für Lobbyarbeit. Mit höherer Transparenz dagegen würden finanzielle Mittel und Macht weniger wichtig. So bekämen inhaltliche Argumente – beispielsweise aus der Wissenschaft – einen grösseren Einfluss.

Kontakt und Team

Prof. Stefanie Hellweg

Institut für Umweltingenieurwissenschaften
ETH Zürich
John-von-Neumann-Weg 9
8093 Zürich

+41 44 633 43 37
stefanie.hellweg@ifu.baug.ethz.ch

Stefanie Hellweg

Sybille Büsser Knöpfel

Elisabet Capon

Mert Duygan

Rolf Frischknecht

Melanie Haupt

Christoph Hugi

Konrad Hungerbühler

Grégoire Meylan

Michael Stauffacher

Laura Tschümperlin

Carl Vadenbo

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 10.05.2019 ab.