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Wie viele kleine Kraftwerke zusammenspielen

Eine dezentrale Energieversorgung muss vernetzt sein. Dies könnte zukünftig in Form von sogenannten Multi-Energy-Hubs erfolgen, die verschiedene Energiesysteme miteinander verbinden: zum Beispiel verschiedene Kleinkraftwerke und Wärmespeicher. Jetzt haben Forschende der ETH-Zürich in einem Verbundprojekt eine Methode entwickelt, um solche Energie-Hubs zu planen und zu evaluieren.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Nachhaltige dezentrale Stromerzeugung».
Energieversorgung der Zukunft: In Multi-Energiesystemen sind Kraftwerke, Speichertechnologien und Verbraucher miteinander vernetzt.
Energieversorgung der Zukunft: In Multi-Energiesystemen sind Kraftwerke, Speichertechnologien und Verbraucher miteinander vernetzt. Sandro Bösch/ETH Zürich
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Bisher war es schwierig, vernetzte Systeme, die Energie aus unterschiedlichen Quellen gewinnen – etwa Strom, Wärme oder Gas –, zu planen und zu analysieren. Denn es gab noch keine präzise Methode, um deren Leistung, Gesamtkosten und den Einfluss auf die CO2 -Emissionen langfristig zu berechnen.
  • Nun haben Verfahrenstechniker der ETH Zürich eine Methodik entwickelt, die das kann. Mithilfe von Computermodellen lassen sich damit Anlagen für verschiedenste Quartiere planen und im Betrieb simulieren.
  • Ihr Verfahren haben die Forschenden in zwei Fallstudien getestet: die Erste im ländlichen Dorf Zernez im Kanton Graubünden, die Zweite im urbanen Zürcher Stadtteil Altstetten.

In Zukunft wird die Energieversorgung der Schweiz dezentralisierter: Neben einigen Grosskraftwerken werden immer mehr kleine, dezentrale Kraftwerke Energie produzieren. Zum Beispiel Wind- und Solarparks, aber auch Photovoltaik- oder Solarthermie-Anlagen einzelner Wohnhäuser. Dazu kommen Systeme, welche die Schwankungen in der Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen ausgleichen, indem sie überschüssige Energie speichern oder umwandeln – etwa Batterien, Wärmespeicher, Wärmepumpen oder sogenannte Power-to-Gas-Systeme. Letztere wandeln Strom in Gase wie Wasserstoff oder Methan um, welche später jederzeit zum Heizen oder zum Antreiben von Fahrzeugen benutzt werden können.

Doch um das Stromnetz in einer solchen dezentralen Versorgung stabil zu halten und gleichzeitig das Maximum aus den Anlagen herauszuholen, wird es nötig, die Anlagen miteinander zu verbinden. «Wir müssen die Erzeugung der Energie direkt mit dem Verbrauch koppeln», erklärt Marco Mazzotti, Professor für Verfahrenstechnik bei der ETH Zürich. Möglich machen das sogenannte Multi-Energy-Hubs. Sie steuern die unterschiedlichen Energiesysteme und vernetzen sie miteinander.

Alle Einflussfaktoren miteinbeziehen

Bislang war es schwierig, solche Multi-Energy-Hubs zu planen, denn es gab keine präzise Methodik, mit der die Leistungen der involvierten Anlagen langfristig modelliert und dabei auch zukünftige Entwicklungen miteinbezogen werden konnten. Diese Lücke hat Mazzotti zusammen mit Kollegen von der ETH Zürich geschlossen: Das Forschungsteam hat in einem Verbundprojekt eine Methodik entwickelt, mit welcher sich ermitteln lässt, wie ein optimaler Multi-Energy-Hub aussieht und wie er in eine bestehende Infrastruktur integriert werden kann.

Dafür mussten die Forschenden sehr viele Faktoren miteinbeziehen. Beispielsweise den aktuellen und künftigen Energiebedarf von Gebäuden, das Potenzial an erneuerbaren Ressourcen oder die aktuelle und zukünftige Effizienz der Energie-Produktionsmethoden. Ebenso die kurz- und langfristige Entwicklung bei den Speichertechnologien und nicht zuletzt die politischen Rahmenbedingungen sowie die Akzeptanz in der Gesellschaft. All diese Faktoren wurden in einzelnen Unterprojekten analysiert und jeweils in einem Computerprogramm abgebildet. Mithilfe dieser Computermodelle ist es jetzt möglich, Multi-Energy-Hubs für verschiedenste Quartiere zu planen. Also zu ermitteln, mit welchen Typen von Anlagen ein Multi-Energy-Hub in den gegebenen Bedingungen optimal funktioniert und welche Energiemengen er einbringen wird.

Ihre Methodik haben die ETH-Forscher in zwei Fallstudien getestet: eine im Dorf Zernez im Kanton Graubünden und eine im Zürcher Stadtteil Altstetten – also in einer ländlich geprägten und in einer urbanen Siedlung. Dabei war jeweils das Ziel, vorhandene erneuerbare Energiequellen mit Multi-Energy-Hubs optimal zu nutzen. Das heisst: Sowohl der CO2 -Ausstoss wie auch die jährlichen Kosten sollten möglichst tief sein.

Was Energy-Hubs zur Energiestrategie 2050 beitragen

In einem ersten Schritt analysierten die Wissenschaftler, welche Anlagen zur Erzeugung, Speicherung und Umwandlung von Energie am besten in die Quartiere passen. Dazu führten sie einerseits Gespräche mit lokalen Akteuren der Energiebranche, etwa vom Elektrizitätswerk Zürich oder von Energia Engiadina. Andererseits bestimmten sie die Stromausbeute von möglichen Wind- und Solarkraftwerken sowie die Spezifikationen für entsprechende Wärmepumpen und Energiespeicher – darunter eher kurzfristige Speicher wie Batterien und Warmwassertanks, aber auch Wasserstoffspeicher, die längerfristige, saisonale Schwankungen ausgleichen sollen.

Danach simulierten die Forschenden im Computermodell den Betrieb der ausgewählten Anlagen. Dadurch konnten sie ermitteln, wie die Technologien am besten zusammenspielen: Wann und wie lange soll eine Wärmepumpe laufen, wie stark werden Batterie und Wärmespeicher ausgelastet, ab wann lohnt sich der Betrieb eines Wasserstoffspeichers.

Die so geplanten Multi-Energy-Hubs für Zernez und Altstetten verglichen die ETH-Forschenden mit den Zielen der Energiestrategie 2050. Dafür erstellten sie Zukunftsszenarien für die Jahre 2020, 2035 und 2050. Dabei zeigte sich: Für Zernez geht die Rechnung auf. Mit dem geplanten Multi-Energy-Hub würden die CO2-Emissionen unter die in der Energiestrategie 2050 festgelegten Limiten fallen. Schwieriger wird das allerdings für Altstetten. Hier fällt hier die Reduktion des CO2-Ausstosses durch den Multi-Energy-Hub kleiner aus, weil es in dem städtischen Quartier weniger Möglichkeiten gibt, um Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien zu installieren.

Bildlegende: Die Berechnungen zeigen, wie sich die entworfenen Multi-Energy-Hubs künftig auf den CO<sub>2</sub>
-Ausstoss und die Energiekosten auswirken würden: Zernez könnte damit die Ziele der Energiestrategie 2050 einhalten. Dagegen würde Altstetten zwar weniger CO<sub>2</sub> ausstossen als heute, aber immer noch zu viel.
Bildlegende: Die Berechnungen zeigen, wie sich die entworfenen Multi-Energy-Hubs künftig auf den CO2 -Ausstoss und die Energiekosten auswirken würden: Zernez könnte damit die Ziele der Energiestrategie 2050 einhalten. Dagegen würde Altstetten zwar weniger CO2 ausstossen als heute, aber immer noch zu viel. Mazzotti et al./ETH Zürich

Aufgeschlossene Schweizer Bevölkerung

Schliesslich untersuchten die ETH-Verfahrenstechniker in einem Unterprojekt, wie gut die Umstellung auf Multi-Energy-Hubs bei der Bevölkerung akzeptiert wäre. Dazu befragten sie in der Schweiz über 1000 Personen, in Deutschland und Österreich jeweils etwas mehr als 500. Am aufgeschlossensten waren die Schweizerinnen und Schweizer. Vor allem der geringere schädliche Einfluss auf Umwelt und Klima wurde von den Befragten als positiv bewertet. Ebenso, dass sie mit der dezentralisierten Energieversorgung selbst zur Energiewende beitragen können.

Skeptisch sind Herr und Frau Schweizer allerdings, was die Finanzierung solcher Energy-Hubs angeht. Umso wichtiger sei eine präzise Methode, um die Anlagen zu planen und ihren Einfluss zu simulieren, sagt Marco Mazzotti. «Unsere Methode lässt sich grundsätzlich auf jede Siedlung anwenden.» Zurzeit laufen bereits Gespräche über eine Anwendung des Verfahrens auf das Energienetz des ETH-Campus Hönggerberg.

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Kontakt und Team

Prof. Marco Mazzotti

Institut für Verfahrenstechnik
ETH Zürich
Sonneggstrasse 3
8092 Zürich

+41 44 632 24 56
marco.mazzotti@ipe.mavt.ethz.ch

Marco Mazzotti

Projektleiter

Jan Carmeliet

Paolo Gabrielli

Matteo Gazzani

Christian Schaffner

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 10.05.2019 ab.