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Wie setzt man umweltfreundliches Abfallmanagement um?

Zu einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und Energie gehört ein umweltfreundliches Abfallmanagement. Ein solches zu erreichen, bedingt nicht nur das Wissen um die technische Umsetzung, sondern auch das Wissen, wie der Wandel tatsächlich realisiert werden kann. Deshalb haben Forschende das Netzwerk der Akteure in der Abfallwirtschaft untersucht.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Modernisierung der Abfallwirtschaft». Dieses Projekt ist Teil des Verbundprojektes «Abfallmanagement als Beitrag zur Energiewende».
Lastwagen für den Abtransport von Müll stehen auf einem Parkplatz bereit.
Lastwagen für den Abtransport von Müll stehen auf einem Parkplatz bereit. Shutterstock
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Forschende haben den Vernehmlassungsprozess einer Verordnung des Bundesrates dazu genutzt, die Haltungen verschiedener Akteure in der Abfallwirtschaft zu untersuchen.
  • Bei der Planung neuer Massnahmen und Regulierungen ist ein transparenter Prozess sehr wichtig. Dies erhöht die Akzeptanz neuer Lösungen.
  • Die föderalistische Struktur der Schweiz ermöglicht es einzelnen Gemeinden und Kantonen, Experimente mit innovativen Konzepten durchzuführen.

Die Schweizer Bevölkerung hat eine der höchsten Abfallproduktionsraten Europas. Weil die Entsorgung und das Recycling des Mülls energieintensiv sind, können Effizienzsteigerungen in diesen Bereichen helfen, dass weniger Energie verbraucht wird. Aber weitaus grössere Einsparungen wären möglich, wenn der Müll gar nicht erst entstehen würde. Dieses Ziel werde in der Schweiz zu wenig beachtet, konstatieren Forschende der ETH Zürich. Sie haben die Haltungen verschiedener Akteure in der Schweizer Abfallwirtschaft untersucht, um herauszufinden, welchen Einfluss verschiedene Player haben, und um verschiedene Gruppen mit ähnlichen Meinungen zu identifizieren.

Dazu nutzten die Forschenden die Totalrevision der Technischen Verordnung über Abfälle (TVA), die der Bundesrat 2014 durchführte. Wie in einem solchen politischen Prozess üblich, konnten interessierte Kreise im Vernehmlassungsverfahren ihre Stellungnahmen einreichen. Zu den interessierten Kreisen gehören die Kantone, Verbände der Abfall- und Recyclingwirtschaft, Parteien, Umweltverbände und andere. Die Haltungen dieser Akteure untersuchten die Wissenschaftler mit einer neuen Methode: der sogenannten Diskurs-Netzwerk-Analyse. Damit konnten sie die Akteure nach Ähnlichkeit ihrer Meinung gruppieren und das Netzwerk zwischen ihnen visualisieren.

Das Resultat der Diskurs-Netzwerk-Analyse zur Abfallbewirtschaftungshierarchie.
Das Resultat der Diskurs-Netzwerk-Analyse zur Abfallbewirtschaftungshierarchie. Duygan et al., 2018

Konkret studierten die Forschenden die Konstellation in zwei Gebieten: Zum einen die Abfallbewirtschaftungshierarchie, zum anderen den Umgang mit Kunststoff- und Bioabfällen. Bei der Abfallbewirtschaftungshierarchie geht es um die Wichtigkeit und Förderung verschiedener Stufen der Abfallbeseitigung: Vermeidung, Verwertung, Verbrennung mit Energienutzung und Deponierung der unbrennbaren Reststoffe.

Insgesamt konnten die Forschenden sechs Cluster identifizieren. Diese teilen sich in vier unterschiedliche Überzeugungen auf: Pro und Contra Regulierung von Abfallvermeidung sowie Pro und Contra Priorisierung der Materialwiederverwertung.

Im Cluster 1 befinden sich hauptsächlich Recyclingfirmen, die zum einen – wenig erstaunlich – für Recycling einstehen und sich zum anderen gegen jegliche Regulierungen zur Abfallvermeidung aussprechen. Die Organisationen in den Clustern 2a und 2b dagegen sind für Regulierungen zur Abfallvermeidung und möchten gleichzeitig das Recycling fördern. Diese Akteure sind deshalb die stärksten Befürworter einer konsequenten Abfallbewirtschaftungshierarchie.

Cluster 3 besteht vor allem aus deutschsprachigen Kantonen sowie einigen Handels- und Wirtschaftsverbänden. Sie alle begrüssen Regulierungen zur Abfallvermeidung. Dabei ist die Energierückgewinnung für sie ebenso wichtig wie das Recycling von Stoffen.

Die Organisationen im Cluster 4 schliesslich stellen sich sowohl gegen Massnahmen zur Abfallvermeidung wie auch gegen eine Förderung von Recycling. In diesem Cluster sind zum einen französischsprachige Kantone zu finden, zum anderen Wirtschaftsverbände. Erstere betonen, dass die Förderung von Recycling zu restriktiv sein könnte, denn andere Formen der Abfallverarbeitung seien für die Umwelt teils besser. Anders argumentieren die Wirtschaftsverbände: Für sie ist die Machbarkeit des Recyclings wichtig und bevor Massnahmen beschlossen werden, sollten die Absatzmärkte vorhanden sein, argumentieren sie. Zudem sei eine Regulierung unnötig, weil die Minimierung von Abfall aus Effizienzgründen ohnehin geschehe.

Bioabfall

Nebst den Fragen zu Recycling und Müllvermeidung regelt die Verordnung über Abfälle auch die kompostierbaren Abfälle – ein wichtiges Thema in der Schweizer Abfallwirtschaft. Auch die Stellungnahmen zu dieser Thematik haben die Forschenden auf dieselbe Weise analysiert und so vier Cluster ähnlich denkender Organisationen gebildet.

Die Akteure im Cluster 1 bevorzugen das Kompostieren gegenüber dem Vergären, mit dem Energie gewonnen werden kann. In erster Linie sind es Kantone, die diese Haltung vertreten, doch auch Abfall- und Wirtschaftsverbände sind darunter.

Die Organisationen im Cluster 2 – vor allem Nichtregierungsorganisationen und die Grüne Partei – sind genau entgegengesetzter Haltung: Sie wollen durch Vergären Energie aus den Bioabfällen gewinnen und stellen sich gegen ein Kompostieren. Sie begründen dies damit, dass die Biogasgewinnung der Umwelt mehr nütze, denn zusätzlich zum erzeugten Gas kann auch das vergorene Material weiter genutzt werden.

Im Cluster 3 befinden sich vor allem Wirtschafts- und Handelsverbände. Sie pochen auf die technische Machbarkeit von geforderten Massnahmen, die darüber hinaus auch wirtschaftlich sein sollen, bevor sie beschlossen werden. Die wenigen Organisationen im Cluster 4 haben keine Vorliebe gegenüber Vergären oder Kompostieren. Wichtig ist ihnen einzig, dass das Material nicht verbrannt wird.

Plastikabfall

Zuletzt haben sich die Forschenden dem Plastikabfall gewidmet, für den sie auch ein Diskursnetzwerk erstellt haben. Wiederum zeigten sich vier Cluster.

Im Cluster 1 sind Organisationen aller Akteursgruppen vertreten. Sie sind für das Sammeln und Wiederverwerten von Plastik. Dasselbe gilt für die Organisationen – Nichtregierungsorganisationen und die Grüne Partei – im Cluster 2, die sich aber zusätzlich eine gesamtheitlichere Sichtweise wünschen. Anders die Akteure im Cluster 3, etwa Handelsorganisationen: Sie setzen auf Freiwilligkeit, da so eine höhere Qualität erzielt werde. Sie halten deshalb eine staatliche Regulierung für unnötig. Für die Organisationen im Cluster 4 schliesslich – hauptsächlich Kantone und Wirtschaftsverbände – ist Recycling nur sinnvoll, wenn die daraus entstehenden Produkte qualitativ hochwertig sind und dafür ein Markt besteht.

Aus den Netzwerkanalysen schliessen die Forschenden, dass es zwischen all den Akteuren zwar keine unüberbrückbaren Gräben gibt – aber doch bedeutende Unterschiede, die sich auf drei Faktoren reduzieren lassen.

Der erste Graben verläuft zwischen privaten und staatlichen Akteuren. Erstere sind gegen regulierende Massnahmen zur Abfallvermeidung, Letztere würden solche Eingriffe begrüssen. Die anderen zwei Gräben verlaufen innerhalb von Akteursgruppen. Zum einen in der Abfallwirtschaft: Recyclingfirmen sind logischerweise für mehr Recycling, dagegen sind die Verbrennungsanlagen und die Zementindustrie. Zum anderen zwischen den deutschsprachigen Kantonen: Die eine Hälfte unterstützt Recycling, für die andere sind Energierückgewinnung und Recycling gleich wichtig.

Wer kann handeln?

Damit Änderungen stattfinden können, müssen die wichtigsten Entscheidungsträger identifiziert werden. Das war auch ein Ziel der Forschenden. Ihre Resultate zeigen, dass für grosse Handlungsfähigkeit vor allem eines entscheidend ist: Ressourcen. Dazu gehören sowohl materielle – in erster Linie Finanzmittel – als auch immaterielle, also etwa politische Macht oder Autorität. Weiter sind Netzwerke zu verschiedenen Akteuren und der Austausch wichtig, doch diese Punkte bewirken weniger als Ressourcen.

Für die Akzeptanz von neuen Lösungen sei eine grössere Transparenz als heute nötig, schreiben die Autoren der Studie. Denn die heutigen politischen Prozesse seien anfällig für Lobbyarbeit und dies unterminiere möglicherweise das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik. Mit transparenten und analytischen Verfahren lasse sich die Wichtigkeit von finanziellen Mitteln und Macht vermindern. Dennoch gehen die Forschenden davon aus, dass radikale Änderungen unwahrscheinlich sind. Denn die Mehrheit der Akteure bevorzugt den Status quo oder höchstens geringfügige Änderungen, Änderungen werden deshalb eher Details des Gesamtsystems betreffen. Doch sehen die Forschenden durchaus eine Möglichkeit für grosse Innovationen: Durch die föderalistische Struktur der Schweiz haben einzelne Gemeinden und Kantone die Möglichkeit, innerhalb der bundesweiten Gesetze in der Abfallwirtschaft Experimente zu wagen und Neuheiten auszuprobieren. So können – wenn die Innovationen funktionieren – letztlich alle profitieren und der Schweiz zu einem umweltfreundlicheren Abfallsystem verhelfen.

Produkte aus diesem Projekt

Kontakt und Team

Prof. Michael Stauffacher

Departement Umweltsystemwissenschaften
ETH Zürich
Universitätstrasse 16
CHN K 78
8092 Zürich
Schweiz

+41 44 632 49 07
michael.stauffacher@usys.ethz.ch

Michael Stauffacher

Projektleiter

Mert Duygan

Grégoire Meylan

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 18.06.2019 ab.