Die Schweizer Bevölkerung hat eine der höchsten Abfallproduktionsraten Europas. Weil die Entsorgung und das Recycling des Mülls energieintensiv sind, können Effizienzsteigerungen in diesen Bereichen helfen, dass weniger Energie verbraucht wird. Aber weitaus grössere Einsparungen wären möglich, wenn der Müll gar nicht erst entstehen würde. Dieses Ziel werde in der Schweiz zu wenig beachtet, konstatieren Forschende der ETH Zürich. Sie haben die Haltungen verschiedener Akteure in der Schweizer Abfallwirtschaft untersucht, um herauszufinden, welchen Einfluss verschiedene Player haben, und um verschiedene Gruppen mit ähnlichen Meinungen zu identifizieren.
Dazu nutzten die Forschenden die Totalrevision der Technischen Verordnung über Abfälle (TVA), die der Bundesrat 2014 durchführte. Wie in einem solchen politischen Prozess üblich, konnten interessierte Kreise im Vernehmlassungsverfahren ihre Stellungnahmen einreichen. Zu den interessierten Kreisen gehören die Kantone, Verbände der Abfall- und Recyclingwirtschaft, Parteien, Umweltverbände und andere. Die Haltungen dieser Akteure untersuchten die Wissenschaftler mit einer neuen Methode: der sogenannten Diskurs-Netzwerk-Analyse. Damit konnten sie die Akteure nach Ähnlichkeit ihrer Meinung gruppieren und das Netzwerk zwischen ihnen visualisieren.
Konkret studierten die Forschenden die Konstellation in zwei Gebieten: Zum einen die Abfallbewirtschaftungshierarchie, zum anderen den Umgang mit Kunststoff- und Bioabfällen. Bei der Abfallbewirtschaftungshierarchie geht es um die Wichtigkeit und Förderung verschiedener Stufen der Abfallbeseitigung: Vermeidung, Verwertung, Verbrennung mit Energienutzung und Deponierung der unbrennbaren Reststoffe.
Insgesamt konnten die Forschenden sechs Cluster identifizieren. Diese teilen sich in vier unterschiedliche Überzeugungen auf: Pro und Contra Regulierung von Abfallvermeidung sowie Pro und Contra Priorisierung der Materialwiederverwertung.
Im Cluster 1 befinden sich hauptsächlich Recyclingfirmen, die zum einen – wenig erstaunlich – für Recycling einstehen und sich zum anderen gegen jegliche Regulierungen zur Abfallvermeidung aussprechen. Die Organisationen in den Clustern 2a und 2b dagegen sind für Regulierungen zur Abfallvermeidung und möchten gleichzeitig das Recycling fördern. Diese Akteure sind deshalb die stärksten Befürworter einer konsequenten Abfallbewirtschaftungshierarchie.
Cluster 3 besteht vor allem aus deutschsprachigen Kantonen sowie einigen Handels- und Wirtschaftsverbänden. Sie alle begrüssen Regulierungen zur Abfallvermeidung. Dabei ist die Energierückgewinnung für sie ebenso wichtig wie das Recycling von Stoffen.
Die Organisationen im Cluster 4 schliesslich stellen sich sowohl gegen Massnahmen zur Abfallvermeidung wie auch gegen eine Förderung von Recycling. In diesem Cluster sind zum einen französischsprachige Kantone zu finden, zum anderen Wirtschaftsverbände. Erstere betonen, dass die Förderung von Recycling zu restriktiv sein könnte, denn andere Formen der Abfallverarbeitung seien für die Umwelt teils besser. Anders argumentieren die Wirtschaftsverbände: Für sie ist die Machbarkeit des Recyclings wichtig und bevor Massnahmen beschlossen werden, sollten die Absatzmärkte vorhanden sein, argumentieren sie. Zudem sei eine Regulierung unnötig, weil die Minimierung von Abfall aus Effizienzgründen ohnehin geschehe.