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Wo Stromerzeugung auf Quartierebene Sinn macht

Dezentrale erneuerbare Energie-Systeme könnten die Energiewende vorantreiben. Vor allem ländliche Gebiete könnten ihren Energiebedarf in Zukunft so mehrheitlich selber decken.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Dezentrale Energiesysteme». Dieses Projekt ist Teil des Verbundprojektes «Nachhaltige dezentrale Stromerzeugung».
Photovoltaik-Anlagen könnten helfen, die Energiegewinnung zu dezentralisieren.
Photovoltaik-Anlagen könnten helfen, die Energiegewinnung zu dezentralisieren. iStock
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Multi-Energiesysteme nutzen Energie aus verschiedenen Quellen und stellen diese dezentral bereit.
  • Solche Systeme erlauben es Quartieren und Gemeinden, ihren Energiebedarf zumindest teilweise selber zu decken.
  • Um Multi-Energiesysteme aber zu erstellen, muss man wissen, wie hoch der Energiebedarf überhaupt ist – und wie viel Potenzial für erneuerbare Energien besteht.

Die Energiestrategie 2050 des Bundes sieht vor, den Energieverbrauch zu senken und den Ausbau von erneuerbaren Energien zu fördern. Denn: Der Atomausstieg ist beschlossen und fossile Energieträger setzen zu viel CO2 frei. Sowohl für die Senkung des CO2-Ausstosses wie den Ausbau der erneuerbaren Energien hat das Bundesamt für Energie Zielmarken gesetzt. Diese sind eine Herausforderung für die Stromnetze und bedingen die Umgestaltung des Energiesystems. Eine Chance können hier dezentrale erneuerbare Multi-Energiesysteme (MES) bieten: Systeme also, welche die Energie aus verschiedenen Quellen nutzen und dezentral bereitstellen. Jedes dieser Systeme hätte mehrere «Energy-Hubs», die es Quartieren und Gemeinden erlauben würden, ihren Strombedarf zumindest teilweise selber zu decken.

Nur: Wie lassen sich solche Multi-Energie-Systeme sinnvoll planen? Wie lässt sich zum Beispiel die Struktur der Energieversorgung dezentralisieren? Wo eignet sich Solarkraft besser als Wasserkraft? Welche Speichertechnologie ist am günstigsten?

Diese Fragen beantwortet das Verbundprojekt «Nachhaltige dezentrale Stromversorgung». In diesem Rahmen haben Kristina Orehounig und ihre Kollegen von der ETH-Zürich zwei Fallstudien erstellt und eine detaillierte Methode entwickelt, um dezentrale Multi-Energie-Systeme an die jeweiligen lokalen Gegebenheiten anzupassen und zu optimieren. Genauer betrachtet wurde das Quartier Altstetten in Zürich sowie das ländlich geprägte Zernez im Kanton Graubünden.

Wer ein Multi-Energie-System planen will, muss wissen, wie viel Energie in seinem Einzugsgebiet überhaupt gebraucht wird. Deshalb untersuchte das Team Orehounig, wie sich der Energiebedarf bei diesen beiden Fallbeispielen bis ins Jahr 2050 verändern wird. Hierfür berechneten sie den gegenwärtigen Energiebedarf durch Elektrizität, Heizung und Warmwasser. Für die Prognose in die Zukunft rechneten sie die jährliche Sanierungsrate von Gebäuden ein, sowie den Temperaturanstieg, der durch den Klimawandel zu erwarten ist.

Wer ein nachhaltiges Multi-Energie-System einsetzen will, muss ausserdem wissen, wie viel Energie die erneuerbaren Quellen im betreffenden Gebiet überhaupt hergeben. Deshalb errechneten die Forschenden In einem zweiten Schritt, um wieviel sich die Produktion erneuerbarer Energien sowohl auf dem Land als auch in der Stadt steigern liesse. Denn so könnte man die Energiegewinnung dezentralisieren, und die Gemeinden könnten zumindest einen Teil ihres Energiebedarfs ohne fossile Energieträger selber decken. Untersucht wurde für Altstetten und Zernez das Potenzial von Photovoltaik-Anlagen auf Dächern und für Erdwärmepumpen auf den Grundstücken. Weil das Potenzial für grosse Wasserkraftwerke in der Schweiz grösstenteils ausgeschöpft ist, betrachteten die Forschenden zudem den Einsatz eines Kleinwasserkraftwerks mit einer Leistung von 2,3 Megawatt in Zernez. Auch Windkraft wurde einbezogen: Weil die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten an den beiden verglichenen Orten jedoch niedrig sind, wurde eine Leichtwindanlage simuliert.

Stabiler Betrieb durch Speicherung

Ein dezentrales Multi-Energie-System muss auch stabil sein. Das heisst, Schwankungen zwischen Bedarf und Produktion müssen ausbalanciert werden: Im Sommer zum Beispiel produzieren Wasserkraftwerke heute oft mehr Strom, als gebraucht wird. Im Winter hingegen ist es zu wenig. Hier kann Kurzzeit- und Langzeit-Speicherung von Energie eine Lösung darstellen. Die Forschenden untersuchten die verschiedenen Speicher- und Umwandlungstechnologien auf ihre Effizienz, die Kosten und den CO2-Ausstoss. Bewertet wurden erdgasbasierte Blockheizkraftwerke, Wärmepumpen, Batterien und Power-to-Gas-Technologien. Ebenso wurde analysiert, wie sich der Verkauf von überschüssigem Strom in das nationale Stromnetz auf den Ausbau erneuerbarer Energie auswirkt.

Anhand der so ermittelten Daten für den künftigen Energiebedarf, des Potenzials der nachhaltigen Energiegewinnung sowie der Kosten und Nutzen verschiedener Energietechnologien ermittelten die Forschenden, wie in Altstetten und Zernez die Ziele der Energiestrategie 2050 konkret erreichten könnten – und dies mit verschiedenen Klima- und Energieszenarien.

Altstetten verfehlt Ziele, Zernez erreicht sie

Fazit: Zernez erreicht die Ziele in allen Szenarien – dies dank seines grossen Potenzials für die Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen. Sowohl Photovoltaik-Anlagen als auch Kleinwasserkraftwerke erwiesen sich in den Berechnungen für diesen Standort als günstig. Zur Wärmeerzeugung zeigten sich Blockheizkraftwerke und Wärmepumpen besonders geeignet. Windkraft lohnte sich wegen wenig Wind kaum. Zur Speicherung erwies sich sowohl Langzeit- als auch Kurzzeitspeicherung als angebracht. Ausserdem zeigt die Studie die Rolle einer Einspeisevergütung auf: Erzeugt jemand durch erneuerbare Quellen mehr Strom, als er benötigt, kann er den überschüssigen Strom in das Stromnetz einspeisen und erhält dafür eine Vergütung. Dies kann dazu führen, dass es sich nicht lohnt, die Energie lokal zu speichern.

Im Gegensatz zu Zernez verfehlt Altstetten die Energieziele in allen Szenarien. Dies, da in diesem städtischen Quartier kaum die Möglichkeit zur Steigerung der Produktion aus erneuerbaren Quellen besteht – die Energie muss also von ausserhalb der Stadt importiert werden. Deshalb lohnt sich an diesem Standort höchstens eine kurzeitige Speicherung. Zum Problem wird, dass in der Stadt viel ältere Gebäude und viele Mehrfamilienhäuser stehen. Diese brauchen zur Beheizung mehr Energie – und sie eignen sich weniger für die Installation von Photovoltaik-Anlagen. Um so wichtiger ist es gemäss den Forschenden, in städtischen Gebieten die Sanierung von Altbauten voranzutreiben.

Die Resultate dieses Projekts zeigen, dass Multi-Energie-Systeme ein Mittel sein könnten, um den Ausbau erneuerbarer Energien voran zu treiben und das nationale Energie- und Stromnetz umzubauen. Doch wie gross ihr Beitrag tatsächlich sein wird, hängt stark von der weiteren technischen Entwicklung dieser Systeme und ihrem Marktpreis ab. Denn momentan sind diese Systeme noch relativ teuer. Das könnte sich mit dem Fortschritt aber ändern.

Produkte aus diesem Projekt

Kontakt und Team

Dr. Kristina Orehounig

Head of Urban Energy Systems Laboratory
Empa - Swiss Federal Laboratories for Materials Science and Technology
Überlandstrasse 129, 8600 Dübendorf, Switzerland

+41 58 765 43 57
kristina.orehounig@empa.ch

Kristina Orehounig

Projektleiterin

Jan Carmeliet

Portia Murray

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 11.06.2019 ab.