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Risiken und Nebenwirkungen – Solarzellen der dritten Generation im Nachhaltigkeitstest

Solarzellen mit einer Perowskitschicht sind eine neue Entwicklung, die eine deutlich effizientere und günstigere Stromgewinnung aus Sonnenlicht verspricht. Forschende der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW haben untersucht, wie nachhaltig die neuen Solarzellen sind – in wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Hinsicht.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Nachhaltigkeit der PV-Systeme». Dieses Projekt ist Teil des Verbundprojektes «Photovoltaik der nächsten Generation».
Um die Bevölkerung von Photovoltaik an Gebäuden zu begeistern, braucht es gute Demonstrationsprojekte, wie dieses Haus in Zürich mit einer aktiven Fassade.
Um die Bevölkerung von Photovoltaik an Gebäuden zu begeistern, braucht es gute Demonstrationsprojekte, wie dieses Haus in Zürich mit einer aktiven Fassade. Beat Bühler
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Die neue Technologie der Perowskit-Tandemsolarzellen hat gute Marktchancen – wenn die Produktionskosten tief sind und die Perowskitschicht langfristig stabil ist.
  • Die Verwendung von seltenen Mineralien in den neuen Solarzellen ist ökologisch und sozial bedenklich, denn diese Rohstoffe sind einerseits knapp und der Abbau beeinträchtigt die Umwelt teilweise erheblich.
  • Die Schweizer Bevölkerung begrüsst einen dezenten Einsatz von Solarenergie an Gebäuden, aber gute Beispiele sind wichtig für das Image und den vermehrten Einsatz der gebäudeintegrierten Photovoltaik.

Die Solartechnologie ist im Umbruch. Ein Preissturz bei den Photovoltaikmodulen hat in der jüngsten Vergangenheit zu einem starken Wachstum der Sonnenenergie auf dem Markt geführt. Jetzt versprechen neue technologische Entwicklungen, zusätzliche Dynamik in den Markt zu bringen – mit Solarzellen, deren Effizienz die Grenzen der etablierten Technologien sprengen sollen. In diesen neuen Solarzellen steckt ein spezieller Werkstoff (Methylammonium Bleiiodid) mit einer Perowskit-Kristallstruktur, der bahnbrechende Lösungen möglich macht: zum Beispiel die Kombination einer Siliziumzelle mit einer Perowskit-Solarzelle. Eine solche sogenannte Tandemzelle hat eine bessere Lichtausbeute und kann einen höheren Wirkungsgrad erreichen.

Ob aber die neuen Perowskit-Solarzellen wirklich besser sind, ist nicht nur eine Frage des Wirkungsgrads. Wirtschaftlich entscheidend sind die Stromgestehungskosten. Sie bemessen sich aus dem Aufwand für Materialien und Herstellung im Verhältnis zum Ertrag unter realen Einsatzbedingungen. Vom ökologischen Gesichtspunkt her interessiert die Umweltbelastung über die Lebensdauer der Solarmodule. Hier schlägt die emissionsfreie Stromerzeugung positiv zu Buche und muss gegen den Ressourcenverbrauch in der Produktion abgewogen werden. Entscheidend für den ökologischen Mehrwert und wirtschaftlichen Erfolg ist die Lebensdauer der Module. Die Demonstration der langfristigen Stabilität einer Perowskitzelle ist noch ausstehend. Und schliesslich zieht jeder technologische Wandel auch soziale Folgen nach sich. Denn vom Abbau der Rohstoffe über die Fertigung der Module in der Fabrik bis zum Betrieb der Solaranlage sind immer Menschen betroffen.

Ganzheitliche Betrachtung

Diese drei Aspekte – Wirtschaftlichkeit, Umwelt und Soziales – untersuchten Forschende der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW in einer Nachhaltigkeitsanalyse zu der Perowskit-Silizium-Tandemzelle. Sie verglichen die neuen Solarzellen mit der gegenwärtigen Marktführerin, der Siliziumzelle. Zusätzlich befragten sie einen repräsentativen Ausschnitt der Schweizer Bevölkerung zu ihrer Einstellung gegenüber einem breiten Einsatz der neuen Technologie an Gebäuden.

Ein Ergebnis der Analyse ist, dass Tandemsolarzellen nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich überlegen sind – sofern die Mehrkosten einige Rappen pro Watt installierter Leistung nicht überschreiten. Wie konkurrenzfähig die neuen Tandemzellen sind, hängt aber auch davon ab, wie sich die bewährten Siliziumzellen weiterentwickeln. Falls diese beim Wirkungsgrad noch weiter zulegen, würden sie die Wirtschaftlichkeit der Tandemzellen infrage stellen.

CO2-Einsparung überwiegt

In ökologischer Hinsicht sind die Erwartungen an die neue Technologie gross. Der Strom aus der Tandemzelle soll fossile Energien effizient ersetzen und so CO2-Emissionen einsparen. So verfolgt die Energiestrategie das Ziel, bis 2050 mindestens 20 Prozent des Stromverbrauchs aus Sonnenenergie zu decken. Für das Schweizer Stromnetz ist ein so grosser Anteil an Solarstrom ein Problem. Weil die Sonne nicht immer scheint, sind Spannungsschwankungen zu erwarten. Wie die Forschenden nachwiesen, sind verschiedene Lösungsansätze zielführend. Eine der Möglichkeiten ist der Netzausbau – der aber eher teuer ist. Doch auch ein angepasstes Management der Stromflüsse oder die Speicherung mit Batterien können das Problem entschärfen. Das Aufladen von Elektroautos etwa hätte einen ausgleichenden Einfluss auf die Netzspannung.

Unabhängig davon, wie die Netzintegration bewerkstelligt wird – der zusätzliche Solarstrom aus der Tandemzelle wird den Schweizer Strommix sauberer machen. Auch bezüglich der Schadstoffbelastung oder dem Landverbrauch schneidet die Tandemzelle ähnlich gut oder sogar leicht besser ab als die Siliziumzelle. Das gilt allerdings nicht für den Verbrauch mineralischer Rohstoffe. Denn die Tandemzelle enthält seltene Mineralien, was die Ökobilanz verschlechtert.

Die soziale Kehrseite des Fortschritts

Mineralien sind auch in sozialer Hinsicht der kritische Faktor. Denn diese Rohstoffe werden in vielen Ländern unter schwierigen Arbeitsbedingungen gewonnen. Zinn zum Beispiel stammt im schlimmsten Fall aus Gebieten, wo unkontrolliert abgebaut wird und die Erträge zur Finanzierung von kriegerischen Konflikten missbraucht werden – dann spricht man von sogenannten Konfliktmineralien. Allerdings schreiben die Forschenden in ihrem Bericht, dass die sozialen Auswirkungen der neuen Solartechnologie schwierig abzuschätzen sind, weil meistens unbekannt ist, wo die verwendeten Materialien herkommen. Doch solange die raren Mineralien nicht ersetzt werden können, bleibt das soziale Risiko hoch.

Ein weiterer sozialer Faktor, der das Schicksal einer Technologie entscheiden kann, ist die Akzeptanz. Wenn zur Erreichung der Energieziele grossflächig Solarpanels installiert werden, ist der Widerstand der Bevölkerung absehbar. Hier soll die Entwicklung von weniger aufdringlichen Alternativen helfen: also zum Beispiel die Gebäudeintegrierte Photovoltaik (GiPV), bei der die Solarzellen möglichst so verbaut sind, dass sie sich optisch nicht von gewöhnlichen Hausfassaden abheben. Eine Umfrage der ZHAW-Forschenden bestätigte, dass diese Art der Solarenergie gut angenommen wird. Jedoch ist das Ergebnis insofern mit Vorsicht zu geniessen, als die Befragten die GiPV kaum aus eigener Anschauung kannten. Um die Akzeptanz zu sichern, seien deshalb Pilotprojekte wichtig, die mit guter Architektur die Gestaltungsmöglichkeiten der GiPV demonstrieren, meinen die Forschenden.

Gute Noten mit Vorbehalt

Über alle Aspekte der Nachhaltigkeit gesehen geben ZHAW-Forschenden den neuen Tandemsolarzellen gute Noten. Doch die Bewertung einer solchen künftigen Technologie sei schwierig, wie sie selbstkritisch erklären. Denn die Tandemzellen sind noch nicht marktfähig. Somit ist auch der industrielle Fertigungsprozess noch unklar, ebenso wie der genaue Rohstoffbedarf. Daher sind die Ergebnisse mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet. Eines jedoch zeigt die Analyse deutlich: Dass sich eine neue Technologie durchsetzt – auch wenn sie der alten überlegen ist ¬– ist nicht selbstverständlich. Darum lohnt es sich, früh über die wirtschaftliche, ökologische und soziale Nachhaltigkeit nachzudenken.

Produkte aus diesem Projekt

Kontakt und Team

Evelyn Lobsiger-Kägi

Institut für Nachhaltige Entwicklung
ZHAW Winterthur
Technoparkstrasse 2
8400 Winterthur

+41 58 934 70 21
evelyn.lobsiger-kaegi@zhaw.ch

Prof. Vicente Carabias

Institut für Nachhaltige Entwicklung
ZHAW Winterthur
Technoparkstrasse 2
8400 Winterthur

+41 (0) 58 934 70 15 vicente.carabias@zhaw.ch

Bettina Furrer

Projektleiterin

Thomas Baumann

Franz Baumgartner

Vicente Carabias

René Itten

Raphael Knecht

Evelyn Lobsiger-Kägi

Hartmut Nussbaumer

Matthias Schmid

Harry Spiess

Matthias Stucki

Uros Tomic

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 10.05.2019 ab.