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Stauseen, wo früher Gletscher waren?

Die Energiestrategie 2050 sieht einen Ausbau der Wasserkraft in der Schweiz vor. Neben Erhöhungen bestehender Stauanlagen und Effizienzsteigerungen könnten auch neue Stauseen zur Wasserkraftproduktion im Vorfeld von Gletschern erstellt werden. Wie viele solche Stauseen bräuchte es und wo könnte man sie anlegen?

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Periglazialzonen und Wasserkraft». Dieses Projekt ist Teil des Verbundprojektes «Wasserkraft und Geoenergie».
Unterhalb des abschmelzenden Triftgletschers gibt es Potenzial für eine neue Wasserkraftanlage – deshalb befindet sich dort ein Staudamm in der Planung.
Unterhalb des abschmelzenden Triftgletschers gibt es Potenzial für eine neue Wasserkraftanlage – deshalb befindet sich dort ein Staudamm in der Planung. Adobe Stock
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Der Gletscherrückzug legt Gebiete frei, die als mögliche Standorte für Stauseen dienen könnten, zumal dort oft schon natürliche Seen entstehen.
  • Zusätzliche Wasserfassungen und Speicher in den Vorfeldern der Gletscher wären eine Möglichkeit, die für die Energiestrategie 2050 nötige Energiegewinnung mit Wasserkraft zu realisieren.
  • Mit sieben neuen Kraftwerken im hochalpinen Gelände könnten jährlich 1,1 Terrawattstunden (TWh) Strom zusätzlich produziert werden. Der für das Winterhalbjahr wichtige Energieinhalt der neuen Stauseen würde sogar 1,3 TWh betragen.
  • Der Widerstand gegen solche neue Infrastrukturen dürfte allerdings gross sein, denn sechs der Standorte liegen in geschützten Gebieten.
  • Neben der fehlenden Akzeptanz gibt es auch technische Herausforderungen: Gletscher transportieren grosse Mengen Sediment, die bei der Planung neuer Kraftwerke berücksichtigt werden müssen. Computermodelle aus diesem Forschungsprojekt helfen dabei.

Wo einst hunderte Meter dickes Eis lag, könnten zukünftig Stauseen Wasser speichern, so dass Turbinen damit Strom erzeugen können. Der Gletscherrückzug in den Alpen hinterlässt Flächen, die sich für Speicherwasserkraftwerke eignen würden – zumal sich dort teilweise schon von Natur aus Seen bilden. Das ist eine Chance für die Energiestrategie 2050, denn diese sieht einen Ausbau der Wasserkraft in der Schweiz vor: Bis ins Jahr 2035 soll die Stromproduktion um 1,1 Terrawattstunden pro Jahr erhöht werden. Das kann durch den Ausbau bestehender Anlagen, Talsperrenerhöhungen oder auch neue Wasserkraftwerke im hochalpinen Raum geschehen. Doch wo die abschmelzenden Gletscher eisfreie Schotterflächen hinterlassen, schwemmt das Wasser mehr Geröll und Sand mit. Diese lagern sich in den Stauseen ab, reduzieren deren Volumen und erschweren die Energieproduktion. Deshalb sind für die Planung neuer Stauseen Kenntnisse über die Erosionsprozesse unter und vor einem Gletscher wichtig.

Luftbilder zeigen die Geländeveränderung

Um zu beziffern, welche Sedimentmassen das Schmelzwasser eines Gletschers abtragen kann, haben die Forscher eine Serie von Luftbildern des Griesgletschers im Kanton Wallis analysiert. Die Serie umfasste jährliche Aufnahmen der Gegend seit 1986, als sich der Gletscher aus dem Griesstausee zurückzog. Anhand dieser Bilder erstellten die Wissenschaftler sogenannte digitale Geländemodelle, die für jeden Punkt eine Höhe über Meer angeben. Durch Vergleichen der jährlichen Höhen konnten sie bestimmen, welche Materialmenge erodiert wurde. So zeigt sich, dass in den ersten Jahren verhältnismässig wenig weggeschwemmt wurde – weniger als 5‘000 Kubikmeter pro Jahr. Ab Mitte der 1990er-Jahre stieg die Menge jedoch an und erreichte 2011-2012 das Maximum, als jährlich 20'000 Kubikmeter weggespült wurden – viel davon als kleine Teilchen in der sogenannten Schwebfracht. Danach ging die Menge wieder zurück und das Gletschervorfeld scheint sich seitdem zu stabilisieren.

Das Schmelzwasser enthält aber nicht nur Sedimente aus dem Gletschervorfeld: Noch mehr wird direkt unter dem Gletscher erodiert. Im Fall des Griesgletschers zeigten Wasseranalysen, dass 70 Prozent der Sedimente ihren Ursprung unter dem Gletscher hatten. Um genauer zu erfahren, welche Materialmenge im Jahresverlauf freigeben wird und ob es Unterschiede zwischen Gletschern gibt, installierten die Wissenschaftler Messgeräte unterhalb von Gletschern im Wallis – dem Aletschgletscher und dem Gornergletscher. Nach zwei Jahren zeigte sich: Der grösste Gletscher der Alpen, der Aletschgletscher, hatte rund 325’000 Kubikmeter Gestein erodiert, der kleinere Gornergletscher circa 60’000 Kubikmeter. Genauere Auswertungen weisen darauf hin, dass nicht nur die Grösse des Gletschers über die Sedimentmenge entscheidet, sondern auch andere Faktoren wie Schmelzwassermenge und der Verlauf der Jahreszeiten.

Die gesammelten Daten halfen den Forschern, ein computerbasiertes Modell des Sedimenttransports zu erstellen. Damit konnten sie simulieren, was bei einem Rückzug des Gletschers passiert: Es zeigte sich, dass es zu einem Anstieg der Sedimentfracht kommt, doch ab einem gewissen Zeitpunkt die Menge trotz zusätzlichem Schmelzwasser abnimmt. Dies hängt mit der Verfügbarkeit an Sedimenten zusammen, die vom Wasser transportiert werden können.

Sedimente in Stauseen

Wenn also ein Kraftwerksbetreiber unterhalb eines Gletschers eine Stauanlage bauen würde, würde dieser nicht nur das Wasser stauen, sondern auch das Sediment auffangen. Mit der Zeit käme es zur Verlandung. Die Forscher sammelten hierzu Daten in verschiedenen gletschernahen Stauseen und erstellten damit ein Computermodell, das das Verlanden eines Stausees simuliert. In einer Studie berechneten sie, wie lange es dauern würde, bis ein potenzielles Reservoir unterhalb des Gornergletschers komplett mit Sediment gefüllt wäre. Das Resultat: Es würde zwar rund 800 Jahre dauern, bis das Reservoir gänzlich verlandet, doch der sichere Betrieb des Wasserkraftwerks wäre schon wesentlich früher gefährdet. Dies, weil sich in Sperrennähe viel Sediment ablagern würde und mehr und mehr davon zu den Turbinen gelangen würde.

Bei der Planung von künftigen Stauseen müsste daher die Problematik der Sedimentation frühzeitig angegangen werden, denn jeder Standort hat seine Eigenheiten, die es zu berücksichtigen gilt. Mit dem neuen Modell steht nun ein effizientes Werkzeug für die Planung zur Verfügung.

Wo könnten neue Stauseen gebaut werden?

Weiter widmeten sich die Wissenschaftler der Frage, unterhalb welcher Gletscher neue Stauseen gebaut werden könnten. Dazu verwendeten sie die aus mehreren globalen Klimamodellen gemittelten Abflussprojektionen für 1576 Schweizer Gletscher. Dann wählten sie diejenigen Gletscher aus, die ein Jahresabflussvolumen von mindestens 10 Millionen Kubikmeter Wasser aufweisen. So blieben noch 62 Gletscher übrig, die dann hinsichtlich 16 Kriterien aus den Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft analysiert und bewertet wurden.

Resultat: Der gemäss der Energiestrategie 2050 zusätzliche Bedarf von jährlich 1,1 Terrawattstunden Strom könnte mit sieben zusätzlichen Stauseen und Wasserkraftwerken, welche die höchste Punktzahl erreichten, gedeckt werden. Die am besten bewerteten Gletscher sind:

  • Aletschgletscher
  • Gornergletscher
  • Grindelwaldgletscher
  • Hüfigletscher
  • Rhonegletscher
  • Roseggletscher
  • Triftgletscher

Mit Ausnahme des Triftgletschers sind allerdings alle Standorte im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN) eingetragen. Dies verunmöglicht den Bau eines Kraftwerks zwar nicht grundsätzlich – im neuen Energiegesetz ist der Ausbau der erneuerbaren Energien ein nationales Interesse und damit dem Schutz der Landschaften gleichgestellt – dennoch ist mit starkem Widerstand gegen mögliche Infrastrukturen in diesen unberührten Landschaften zu rechnen. Hinzu kommt, dass die hochalpinen Standorte in entlegenen und schwer zu erreichenden Gebieten liegen, was einen allfälligen Bau kostspielig machen würde. Kurzfristig erscheint der Ausbau bestehender Anlagen, etwa mit Talsperrenerhöhungen, deshalb realistischer. Auch so liesse sich nämlich die Lücke, die durch den Atomausstieg auf die Schweiz zukommt, teilweise schliessen.

Produkte aus diesem Projekt

Kontakt und Team

Prof. Robert Boes

Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie
ETH Zürich
Hönggerbergring 26
HIA C57
8093 Zürich

+41 44 632 40 90
boes@vaw.baug.ethz.ch

Robert Boes

Projektleiter

Ian Delaney

Daniel Ehrbar

Daniel Farinotti

Lukas Schmocker

David Vetsch

Mauro Werder

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 10.05.2019 ab.